Russische Orchidee
anstrengende Nacht hinter mir.« Er schnalzte mit den Fingern, um den Kellner herbeizurufen. Diese Geste wirkte so ordinär, daß Malzew angewidert das Gesicht verzog.
»Hör mal, Diplomat, das ist hier nicht üblich.«
»Pardon.« Krassawtschenko zog die Jacke aus, unter der er einen warmen schwarzen Pullover und ein weißes Hemd trug. Malzew bemerkte einen beige-rosa Fleck am Hemdkragen, Spuren von Make-up.
»Ja, ich sehe«, nickte er, »du hattest wirklich eine anstrengende Nacht.«
Der Kellner erschien, und Krassawtschenko bestellte sich zwei Juliennesuppen, Rinderlende blutig, Pommes frites, einen großen Gemüsesalat und Tomatensaft.
»Ich habe seit gestern abend nichts mehr gegessen«, erklärte er, »und nach dieser Nacht habe ich einen Mordshunger. Also, sie weiß nichts von dem Klunker. Das Resultat war gleich Null. Überhaupt ist das alles irgendwie absurd. Ich werde das Gefühl nicht los, wir sind beide plemplem. Übrigens, was ich Sie schon immer fragen wollte, wie gut kennen Sie eigentlich unseren Auftraggeber?«
»Die Frage hast du mir schon dreimal gestellt.«
»Wirklich? Na, dann stelle ich sie eben noch mal. Sie ist auch im Moment besonders aktuell.«
»Warum?«
»Weil wir in einer Sackgasse stecken. Der Auftrag ist ausgeführt, zumindest, was meinen Teil betrifft.«
»Wie kommst du darauf?«
»Es gibt niemanden mehr, den wir befragen könnten. Die Beljajewa war das letzte Glied in der Kette.«
»Es gibt noch die Nachkommen der Leute, die sich gleich nach der Revolution in Baturino angesiedelt haben. Wir haben ja erst 1950 angefangen, das heißt, mehr als zwanzig Jahre haben wir übersprungen.«
»Ja, natürlich. Mit der Suche nach dieser Brosche können wir uns bis ans Ende unserer Tage beschäftigen. Vorfahren, Nachfahren, Juweliere, Gemüsegärten … Begreifen Sie doch, man erreicht nichts, wenn man nur auf einen glücklichen Zufall hofft.« Krassawtschenko verstummte und wartete, bis der Kellner die Teller vor ihn hingestellt hatte. Er nahm die Sonnenbrille ab, um sein blutiges Rindfleisch besser betrachten zu können. Malzew fiel auf, wie unschön er aß, jeden Bissen hob er dicht vor die Augen, drehte ihn auf der Gabel, steckte ihn dann rasch in den Mund, kaute schnell und gierig und schielte dabei zur Seite, wie ein Straßenköter, der einen fremden Knochen gestohlen hat.
»Man darf nicht auf einen glücklichen Zufall hoffen«, wiederholte er und kaute auf seinem Fleisch herum. »Aber Sie haben mir meine Frage nicht beantwortet, wie gut Sie den Auftraggeber kennen. Haben Sie ihn schon mal gesehen?«
»Ein paarmal.«
»Und was für einen Eindruck hat er auf Sie gemacht?«
»Was tun meine Eindrücke zur Sache?«
»Was die zur Sache tun?« Er beförderte ein zweites Stück Fleisch in den Mund und nahm einen Schluck Tomatensaft. »Ich glaube, dieser Mann ist krank. Wie kann ein normaler Mensch so viel Geld verschleudern? Wieviel hat er wegen dieser unglückseligen Brosche schon in den Sand gesetzt? Wir beide, zwei normale Menschen, zwei Profis, lassen uns von einem Verrückten herumkommandieren und sucheneine Nadel im Heuhaufen. Ich kann wegen so einer Brosche kein Risiko eingehen, selbst wenn sie eine Million Dollar wert ist. Schließlich ist es nicht meine Million.«
»Soll das heißen, du steigst aus?«
»Auf keinen Fall. Warum sollte ich mich von einem kranken Menschen trennen, der mit Geld nur so um sich schmeißt?« Krassawtschenko hatte das Rindfleisch verspeist und nahm nun die letzten, besonders knusprigen Pommes frites in Angriff, konnte sie jedoch trotz aller Anstrengungen nicht mit der Gabel aufspießen und aß kurzerhand mit den Fingern weiter. »Wieviel hat er allein für unsere Fahrt nach Kanada hingelegt? Und wofür das alles, fragt man sich?«
»Halt«, unterbrach ihn Malzew, »ich verstehe nicht, wieso du plötzlich so besorgt um das Geld unseres Auftraggebers bist?«
»Na, wenn er selber sich keine Sorgen macht, einer muß es doch tun.« Krassawtschenko zwinkerte vergnügt, trank seinen restlichen Tomatensaft aus und machte sich über den Salat her.
Malzew winkte dem Kellner und bat um ein Glas Mineralwasser. Er hatte einen trockenen Mund bekommen.
»Und was hast du vor?«
»Sie und ich, wir müssen die Möglichkeiten nutzen, die sich im Lauf der Operation eröffnen. Wir müssen sie für uns selber nutzen, wenn wir nicht hinterher wie die letzten Trottel dastehen wollen.«
»Und was für Möglichkeiten eröffnen sich deiner Meinung nach für
Weitere Kostenlose Bücher