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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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die Kinder ist? Man kann doch die Wohnung nicht in eine Tierklinik verwandeln.«
    Lisa ertappte sich dabei, daß sie sich in Gegenwart von Mann und Kindern zu weinen genierte, daß sie sich ihres heftigen, kaum zu ertragenden Mitleids schämte.
    »Ich hätte nie gedacht, daß du so sentimental bist, Mama«, sagte ihr Sohn Witja einmal, als er hörte, wie sie sich nachts mit Lotta unterhielt und den Hund in den Schlaf sang wie ein Baby.
    Zum ersten Mal im Leben gestattete sie es sich, für eine Zeitlang aus der Rolle der ruhigen, zuverlässigen, unbeirrbaren Musterschülerin zu fallen, die frei von Gefühlsduselei war und ihre Emotionen fest im Griff hatte. Bei der Arbeit, unter fremden Menschen, konnte sie sich noch beherrschen, aber in der Familie vermochte sie es nicht, und das erschreckte und ärgerte ihren Mann und die Kinder. Selbst ihre Tochter Nadja zuckte beim Anblick der weinenden Mutter kalt die Schultern und bemerkte vernünftig, ein Hund sei doch kein Mensch.
    Nur bei Juri fühlte sie sich nicht schuldig, er war nicht der Meinung, daß es unnormal und unschicklich sei, wegen eines Hundes so zu leiden. Vor ihm schämte sie sich ihrer Tränen des Mitleids und der Hilflosigkeit nicht. Er verstand sie ohne Erklärungen. Mit ihm konnte sie einfach nur im Auto sitzen, schweigen und lauschen, wie der Septemberregen auf das Autodach trommelte. Um sich zu beruhigen, brauchtesie einfach nur ihr Gesicht an seiner Schulter zu vergraben und den Zigarettengeruch seines Pullovers einzuatmen.
    Lotta starb in der Nacht, nach langen, qualvollen Krämpfen. Lisa saß auf dem Boden, hielt ihren Kopf auf dem Schoß und spürte, wie verzweifelt dieses Geschöpf mit dem Tod kämpfte.
    Vielleicht hatte ihr Mann ja recht, wenn er sagte, daß sie sich wie eine kindische, weinerliche alte Jungfer aufführte. Auf der Welt gab es so viel Entsetzliches, so viel menschliches Leid, und hier handelte es sich nur um eine Hündin, noch dazu um eine launische, bösartige, mit der es in der letzten Zeit sehr schwer gewesen war – sie war unsauber geworden, kein Putzmittel konnte den Gestank beseitigen, nachts jaulte und winselte sie laut, versuchte immer wieder, auf ihre Pfoten zu kommen, um dann mit Gepolter umzufallen und Mann und Kinder aufzuwecken, die früh aufstehen mußten.
    »Hör mal, bist du dir eigentlich klar darüber, daß es unnormal ist, wegen eines Hundes so zu leiden?« hörte Lisa die Stimme ihres Mannes und merkte erst da, daß Lotta nicht mehr atmete und sie selbst bitterlich schluchzte.
    Das alles war noch gar nicht lange her, und sie träumte noch oft von dem regnerischen, trüben Tag, als sie gemeinsam mit Juri in die Siedlung »Bolschewik« gefahren war, die man nun wieder in »Baturino« umbenannt hatte, um dort im Eichenwäldchen den Hund zu begraben.
    Unter den Rädern des Škoda Felicija spritzte das Wasser auf, der Regen strömte über die Windschutzscheibe.
    Sie ließen den Wagen an einer kleinen Lichtung stehen, auf der sich früher einmal ein Volleyballplatz befunden hatte. Lisa sah schon von weitem, daß im Fenster des alten Holzhauses Licht brannte, und wandte sich ab.
    Es war inzwischen ganz finster geworden, Lisa knipsteihre Taschenlampe an. Als alles erledigt war und sich über dem Grab des Hundes ein kleiner Hügel erhob, wurden plötzlich ganz in der Nähe Schritte laut. Jemand näherte sich ihnen in der Dunkelheit, heiser und krampfhaft hustend. Der schmale Lichtkegel der Taschenlampe fiel auf die Kapuze eines Regencapes und auf ein runzliges Altmännergesicht.
    »Haben Sie vielleicht was zu rauchen?« fragte eine heisere Stimme.
    Juri zog eine Schachtel Zigaretten und ein Feuerzeug aus der Tasche. Der Mann hustete nach dem ersten tiefen Zug wieder heftig und fragte: »Wer sind Sie?«
    »Wir sind nur auf der Durchreise«, erwiderte Lisa.
    »Und was haben Sie hier vergraben?«
    »Wir haben einen Hund beerdigt.«
    »Warum gerade hier?«
    »Warum nicht? Auf dem Friedhof geht’s nicht, und auf den Müll wollten wir ihn nicht werfen«, sagte Juri und zündete sich ebenfalls eine Zigarette an.
    »Das verstehe ich, aber warum ausgerechnet hier? Übrigens, können Sie sich ausweisen?«
    »Wozu?«
    »Vielleicht haben Sie gar keinen Hund, sondern eine Leiche verbuddelt. Man weiß ja, in was für Zeiten wir leben.«
    Etwas in der Stimme des Alten, in seinem runzligen Säufergesicht kam Lisa bekannt vor.
    »Zeigen Sie mir mal Ihre Papiere, sonst rufe ich die Miliz.«
    »Nikolaj Petrowitsch?« fiel es Lisa

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