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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Schauspieler muß sich vom Joch der Leibeigenschaft befreien. Verstehen Sie mich?«
    »Ja, natürlich.« Warja nickte bereitwillig. »Wann wird die erste Probe sein?«
    Er blickte auf die Uhr, überlegte einen Moment, zwinkerteihr dann plötzlich zu, beugte sich vor und legte ihr die Hand auf die Schulter.
    »Wir werden sie alle überlisten, Warja. Wir fahren jetzt zu der besten Fotografin von Moskau, Soja Iwanowa. Sie haben bestimmt schon von ihr gehört. Sie fotografiert alle Prominenten und arbeitet für viele westliche Zeitschriften. Von ihr kriegen wir so tolle Fotos, daß die Franzosen aus dem Häuschen sein werden und Sie ohne Wettbewerb nehmen. Wir dürfen nur keine Zeit verlieren. Morgen früh fliegt Soja nach New York, sie hat einen Vertrag für die Aufnahmen des Miss-Universum-Wettbewerbs.«
    Wenn sie damals doch wenigstens einen Augenblick lang gezweifelt hätte – nein, nicht an den Absichten des jungen Mannes namens Garik, nicht einmal an der Echtheit der berühmten Fotografin Soja, sondern an sich selbst, am eigenen Erfolg, an ihrer Unwiderstehlichkeit. Aber nein, sie hatte keinerlei Zweifel gehegt, sondern das alles im Gegenteil als einen verdienten Sieg empfunden. Über wen eigentlich? Wahrscheinlich über all die anderen Mädchen, die scharenweise die Aufnahmekommissionen der Theaterinstitute belagerten, die ihre Fotos an Zeitschriften schickten, Schlange standen, um sich für die Teilnahme an einem Schönheitswettbewerb begutachten zu lassen, und die die Werbeagenturen und Model-Schulen stürmten. Von denen gab es viele, schrecklich viele, sie aber war einzigartig. Sie war die beste. Sie hatte große, strahlende Augen, blau wie Kornblumen, wie kostbare Saphire. Sie hatte eine seidige weiße Haut, dicke, glänzende schwarze Haare. Eine seltene Kombination – blaue Augen und schwarze Haare. Dazu eine hohe Stirn, eine gerade kleine Nase, einen vollen, sinnlichen roten Mund, ein zartes, schmales Gesicht, hohe Wangenknochen. Und eine ideale Figur, ein Meter fünfundsiebzig groß und Maße wie auf Bestellung: neunzig – sechzig – neunzig. Sollteman mit einem so umwerfenden Aussehen neben der Mutter, die trotz Bildung und Intelligenz keine Arbeit mehr hatte, auf dem Bahnhofsvorplatz stehen und Blumen verkaufen, in einer Kommunalwohnung leben und sich darüber freuen, daß man billig ein Paar gute Sandaletten ergattert hatte? Das war ungerecht.
    Seit Warja dreizehn war, betrachtete sie sich jeden Morgen im Spiegel und träumte davon, ihr eigenes Gesicht in Großaufnahme, aus verschiedenen Perspektiven auf einer Kinoleinwand zu sehen. Sie hatte immer gewußt, daß sie einmal ein Star sein würde, und deshalb fuhr sie seelenruhig und selbstbewußt mit dem unbekannten Mann mit, der sich ihr als Filmregisseur vorgestellt hatte. Übrigens hatte er ihr auch ein blaues Kärtchen gezeigt, auf dem »Mosfilm« stand.
    Sie fuhren erst mit der Metro, dann mit dem Trolleybus zu einem fünfstöckigen Plattenbau. Im Treppenhaus schlug ihr der beißende Gestank von Urin entgegen. In der Einzimmerwohnung stank es noch heftiger. Später begriff sie, warum. Garik stopfte seine Opfer mit Psychodrogen voll, damit es weniger Lärm gab, und in diesem betäubten, willenlosen Zustand machten sie sich in die Hose. Gariks taubstumme Helfershelferin Soja, der die Wohnung gehörte, und ihre vierzehnjährige schwachsinnige Tochter Raissa kamen mit dem Wäschewaschen nicht nach.
    Der Gestank und der Schmutz in der Wohnung irritierten Warja im ersten Moment, aber Garik erklärte, das sei nur das übliche künstlerische Chaos. Aus der Küche tauchte eine dickliche Frau in einem schmutzigen Kittel aus Kattun und mit einem aufgedunsenen, verlebten Gesicht auf.
    »Das ist Soja, macht euch bekannt.«
    Die Frau brummte irgend etwas Unverständliches zur Begrüßung.
    Als Warja später vor dem Untersuchungsführer ihre Aussagenmachte, erzählte sie das alles, als sei es die Handlung eines Films. Die eigene Erzählung war ihr besser in Erinnerung geblieben als die Ereignisse selbst.
    »Als wir in die Wohnung kamen, bewirtete der Regisseur mich mit starkem Kaffee, und dann gab er mir einen tief ausgeschnittenen Badeanzug und sagte mir, ich solle ihn anziehen. Ich merkte, daß ich mich in einer Art Trancezustand befand, aber ich war nicht imstande, diese Schlaffheit zu überwinden. Der Regisseur zog sich nackt aus und schlug mir vor, mich zu ihm ins Bett zu legen. Als ich nicht wollte, erklärte er, er müsse sich unbedingt von meiner

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