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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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»Woher kennen Sie diesen Mann? Wer ist er?«
    »Ein Gauner«, antwortete die Amerikanerin ebenfalls im Flüsterton, ohne den Blick zu heben. »Die ganze Zeit schwänzelt er um Sie herum, Lisa. In der Liste der Mitglieder der russischen Delegation ist sein Name nicht verzeichnet. Kein einziger von den Repräsentanten des russischen Außenministeriums, die hier auf der Konferenz anwesend sind, kennt ihn. Er wohnt als Privatperson im Hotel. Vielleicht arbeitet er ja tatsächlich beim Ministerium, aber wo und als was, ist nicht bekannt. Ich glaube, er ist ein Geheimagent des KGB.«
    »Haben Sie etwa Nachforschungen über ihn angestellt und sich bei unseren Diplomaten und bei der Hotelverwaltung über ihn erkundigt?« fragte Lisa verwundert.
    »Ja.«
    »Wieso?«
    »Er gefiel mir nicht. Ein zu glatter Typ. 1980 war ich in der Sowjetunion, auf der Olympiade. Vor der Fahrt haben wir eine spezielle Unterweisung bekommen, man hat uns beigebracht, woran man einen KGB-Agenten erkennt.«
    »Aber seitdem sind zwanzig Jahre vergangen, Carrie.«
    »Ja, natürlich. Den KGB gibt es in Rußland nicht mehr,obwohl ein Namenswechsel nicht viel bedeutet. Seien Sie ihm gegenüber vorsichtig, Lisa.«
    Auf die Rednertribüne stieg ein buddhistischer Mönch mit geschorenem Kopf, in einem roten Gewand, das eine Schulter frei ließ. Er sprach mongolisch, und alle setzten ihre Kopfhörer auf, um der Synchronübersetzung zu lauschen. Carrie schaltete den Ton im Kopfhörer aus und vertiefte sich in die Lektüre ihrer Papiere. Lisa folgte ihrem Beispiel, nahm die Blätter aus der Plastikmappe und spürte im selben Moment einen heftigen Anfall von Übelkeit, so intensiv, daß sie reflexhaft die Hand vor den Mund preßte.
    Zwischen den Seiten lagen mehrere Polaroidfotos. Pornographische Bilder. Sie schaute nicht länger als eine Sekunde auf die Aufnahmen und bedeckte sie sofort mit den Papieren. Aber diese Sekunde genügte, um die handelnden Personen zu erkennen. Krassawtschenko und sie. Sie und Krassawtschenko.
     
    »Ich habe schon mit vielen Zeitungsleuten gearbeitet, und beim Fernsehen bin ich seit fünfzehn Jahren. Wenn es keine Arbeit als Kameramann gibt, verdiene ich mir bei den Zeitungen was dazu. Ja, also Artjom Butejko war einer von der besonders heimtückischen Sorte, obwohl man über Tote ja nichts Schlechtes sagen soll. Aber wenn Sie meine Meinung wissen wollen, er ist zu weit gegangen. Viele haben ihn gewarnt.«
    Der Kameramann Jegor Labuch war derart redselig, daß sogar der geduldige und wißbegierige Borodin langsam müde wurde.
    »Sagen Sie, Jegor, wer genau hat ihn gewarnt und wovor?« schaltete er sich in den Monolog seines Gesprächspartners ein, im Bemühen, die Unterhaltung in sinnvollere Bahnen zu lenken.
    »Sie müssen schon entschuldigen, aber Namen werde ich keine nennen«, antwortete Labuch mit schiefem Grinsen, »es geht hier immerhin um einen Mord, und wenn ich irgendeinen Namen sage, bringe ich womöglich einen Unschuldigen in Verdacht. Da kommen ja mindestens hundert Leute zusammen, und durchweg alle sind prominente, einflußreiche Persönlichkeiten mit weitreichenden Möglichkeiten.«
    »Also nicht weniger als hundert Leute könnten Ihrer Meinung nach ein Motiv für den Mord an Butejko gehabt haben?« fragte Borodin vorsichtig nach.
    »Nun, vielleicht habe ich etwas übertrieben, aber im Prinzip hat jeder seiner Gäste in der Talkshow wenigstens für einen Moment lang diesen Wunsch gehegt. Und wenn man bedenkt, daß er auch jede Menge Schulden hatte, dann kann man Sie als Untersuchungsführer nur bemitleiden.«
    »Hat er sich bei Ihnen persönlich mal Geld geliehen?«
    »Zweimal. Allerdings hat er mir alles zurückgegeben. Schulden hat er eigentlich immer auf Heller und Pfennig zurückgezahlt, zumindest seinen Kollegen. Aber was die Leute betrifft, hinter denen er als Reporter her war, da könnte ich Ihnen ganz andere Geschichten erzählen. Die hat er verfolgt, abgehört, ausspioniert. Ganze Familien sind so zerstört worden.«
    »Ist denn nie jemand gerichtlich gegen ihn vorgegangen?« fragte Borodin.
    »Kann ein normaler Mensch öffentlich zugeben, daß er diese Tratschgeschichten ernst nimmt? Die einen wollten sich nicht die Finger schmutzig machen, Zeit und Nerven vergeuden, die anderen begriffen, daß es genau das war, was Butejko bezweckte, denn ein Skandal war für ihn die beste Werbung. Wozu für eine solche Laus auch noch Reklame machen? Ach, entschuldigen Sie, ich rede schlecht voneinem Toten. Aber urteilen

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