Russische Volksmaerchen
»Ehrwürdiger Herr, ich kenne nicht die Sitten dieses Landes und habe nichts von eurem Verbote gehört. Ich bat euren Koch um ein Almosen im Namen des Vowa Korolewitsch, weil ich weiß, daß er wegen seiner Tapferkeit und Stärke überall geehrt wird, aber euer Koch schlug mich, ohne ein Wort zu sprechen, mit dem Brande auf den Kopf, und ich habe ihn wider meinen Willen und ohne Absicht todt geschlagen.« Als dies der Haushofmeister hörte, verwandelte sich sein Zorn in Gnade, und er sprach zu Vowa: »Höre, Alter, von dieser Stunde an, bitte um kein Almosen im Namen Vowa's mehr, denn es ist geboten, auf der Stelle Jeden zu tödten, der in unserm Reiche etwas zum Lobe seines Namens sagt; dir aber soll wegen deiner Unkunde verziehen werden. Gehe jezt gerade auf den Hinterhof; dort wirst du die schöne Prinzeß Druschnewna sehen, welche Bettlern deines Gleichen Almosen gibt. Nach drei Tagen wird sie Hochzeit halten mit unserm König Markobrun.«
Vowa verneigte sich vor dem guten Haushofmeister und ging auf den Hinterhof. Da erblickte er Druschnewna, und ging gerade auf sie zu; aber es waren so viel Bettler, daß er nicht bis zu ihr durch dringen konnte, und manche Neidische fingen an, den Alten zu schlagen und zu stoßen. Das verdroß den Vowa, und er begann auf seine Art zu stoßen, und machte sich bald Bahn bis zur schönen Druschnewna, und vor sie tretend sprach er: »Gnädige Frau, schöne Prinzeß Druschnewna, verlobte Braut des berühmten Königs Markobrun, reiche mir ein Almosen, nicht um deiner Trauung willen, sondern im Namen des Vowa Korolewitsch.« Als dies die Prinzeß Druschnewna hörte, veränderte sich ihr Gesicht; sie ließ die Schüssel mit dem Golde aus den Händen fallen und konnte sich kaum auf den Füßen erhalten. Sie befahl einem Mädchen anstatt ihrer das Almosen und den Bettlern auszutheilen, rief den Vowa zu sich und fragte ihn, warum er im Namen des Vowa Korolewitsch um Almosen gebeten? Da antwortete ihr Vowa Korolewitsch: »Meine gnädige Herrin, Prinzeß Druschnewna, ich kenne genau den Vowa Korolewitsch, denn ich saß mit ihm im Reiche des Zaren Saltan Saltanowitsch in einem Gefängnisse, aß schwarzes Brod und trank faules Wasser mit ihm zusammen, ertrug viel Hunger und Kälte, und er hat mir gestanden, daß du, schöne Prinzeß, ihn herzlich liebst und ihm dein Wort gegeben hast, Niemanden, als ihn, zu heirathen. Deßhalb bin ich so kühn gewesen, in seinem Namen dich um Almosen zu bitten.« – »Ach, guter Alter,« sagte zu ihm Druschnewna, »wo hast du den Vowa Korolewitsch verlassen? Wenn ich wüßte, wo er sich jezt befindet, so würde ich gleich abreisen, ihn aufzusuchen, wenn es auch durch sieben und zwanzig Länder bis in's dreißigste Reich wäre.« – »Er wurde mit mir zugleich aus dem Gefängnisse entlassen,« antwortete Vowa Korolewitsch, »und ich ging mit ihm bis in dieses Königreich zusammen; er blieb zurück, und, wohin er gegangen ist, weiß ich nicht; ich aber wanderte in diese Stadt!« Also sprach der vermeintliche Greis, und in diesem Augenblick trat der König Markobrun herein und sah Thränen in Druschnewna's Augen; er fragte sie, weßhalb sie weine, und ob sie etwa Jemand beleidigt habe; aber Druschnewna antwortete ihm: »Nein, Herr König Markobrun, ich weine, weil dieser Mann (auf Vowa zeigend) mir sagte, mein Vater liege auf dem Sterbebette.«– Der König Markobrun befahl dem Vowa fortzugehen und fing selbst an, die schöne Prinzeß Druschnewna mit folgenden Worten zu trösten: »Meine liebe Druschnewna, gräme dich nicht über die Krankheit deines Vaters, er ist ja nur krank und liegt gewiß nicht auf den Tod und kann wieder genesen, und du wirst mit deinem Kummer ihm keine Hülfe bringen, sondern dich selbst zu sehr angreifen und deiner Gesundheit schaden. Deine schwarzen Augen werden von Thränen trübe werden, und dein Kummer wird deine Schönheit zerstören.«
Während der König diese Worte sprach, ging Vowa in den Stall, wo sein gutes Roß an zwölf Ketten angefesselt stand. Als das Roß seinen tapfern Herrn kommen hörte, fing es an, die eisernen Thüren zu durchbrechen und seine Ketten zu zerreißen, und nachdem es alle Thüren durchbrochen hatte und in's Freie gesprungen war, stürzte es auf Vowa, stellte sich auf die Hinterbeine und wollte ihn umfassen; aber Vowa ergriff es bei der Mähne und fing an, es zu streicheln. Als dies die Stallknechte sahen, gingen sie, und erzählten Alles dem Markobrun. Er kam sogleich auf den Hof und sah, wie Vowa
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