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Russisches Abendmahl

Russisches Abendmahl

Titel: Russisches Abendmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Ghelfi
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sollten auch Flüge überprüfen.«
    »Wie schnell musst du das wissen?«, fragt der General.
    »Wir liegen schon zu weit zurück.«
    Er hängt auf.
    Ich gehe wieder zum Waschbecken und säubere noch einmal meine Wunden. Das Wasser beißt dort, wo Peters Pistole die Haut aufgeschürft hat, aber mein Gesicht fühlt sich danach besser an. Fäkalgeruch steigt von den Leichen auf. Ich ziehe sie nacheinander an den Fersen in die hintere Ecke, was bedeutet, dass sie jetzt drei Schritte statt einem vom Bett entfernt liegen. Dann lege ich mich hin. Das Bett ist weich, von vielen Körpern ausgelegen. Meine Augenlider sind schwer. Ich stelle das Nokia auf Vibration und lege es zwischen Wange und Matratze. Dann schließe ich die Augen.
    Irgendwann später schreckt mich das Vibrieren des Nokias auf. Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich länger als zwei Stunden geschlafen habe.
    »Ja«, sage ich ins Telefon.
    »Kuwaldin saß am dritten Juni im Nachtzug nach Moskau.«
    Seine Fahrt wird ähnlich gewesen sein wie die von Valja und mir. Ein Schaukeln durch die Dunkelheit, die einem Tundra und Taiga vom Leibe hält. Nur dass er ein wertvolles Paket umklammerte und wahrscheinlich vor Angst zitterte.
    »Glaubst du, er hat die Bilder in Moskau versteckt?«, fragt der General.
    »Ich glaube, er hat sie Sofia Alexejewna zurückgebracht.«
    Statisches Knistern, während der General über meine Worte nachdenkt und mich wahrscheinlich für verrückt hält.
    »Ich brauche eine spezielle Zugangsberechtigung für das Neujungfrauenkloster«, erkläre ich ihm.
    »Ruf mich an, wenn du wieder in Moskau bist«, sagt er.
    Diesmal lege ich zuerst auf. Innerhalb von Sekunden bin ich auf den Beinen und haste hinaus. Wenn ich die Bedeutung von Kuwaldins Ikone herausgefunden habe, hat es vielleicht auch jemand anders.

44
    Ein Taxi lässt mich an der Ecke gegenüber vom Neujungfrauenkloster raus. Zwölf Stunden sind vergangen, seit ich das Zimmer des toten Hausmeisters in der Isaakskathedrale verlassen habe, und ich habe weder geschlafen noch mich umgezogen. Die einsame Fahrt zurück zum Leningrader Bahnhof habe ich damit verbracht, all die Fehler aufzulisten, die ich in den letzten zwei Monaten begangen habe. Ich warte ungeduldig, bis mir ein paar Meter vom Haupteingang der barocken Christi-Verklärungs-Torkirche entfernt eine Nonne mit einer maulwurfartig zuckenden Nase eine kleine Holztür öffnet. Sie hat ihre Anweisungen über das Untergrund-Netzwerk des Generals erhalten und ist offenbar wenig erfreut darüber.
    »Wie viele kommen denn noch?«, schnaubt sie.
    Ich gehe davon aus, dass sie die Soldaten meint, die bald hier sein müssten, wahrscheinlich innerhalb der nächsten Minuten, und antworte nicht. Sie tritt beiseite, schließt die Tür hinter mir und eilt davon. Ich schlendere über das Klostergelände, ohne recht zu wissen, wonach ich suchen soll. Zu meiner Rechten befinden sich die Quartiere. Links ist ein Ausstellungsraum mit einem Tickethäuschen davor. Ich laufe einen Weg über zerbrochene Steine entlang, vorbei an vereinzelten Grabsteinen und der kleinen Prokhorow-Kapelle, bis ich vor den beleuchteten Kuppeln der Smolensk-Kathedrale stehe. Ich stecke die Hände in die Manteltaschen und seufze. Ich habe keine Ahnung, wo ich anfangen soll.
    Scherben roter Ziegel schneiden über mein Gesicht, als das Echo des Schusses die Stille der Nacht zerreißt. Ich bin sofort auf dem Boden, feuere aus der Sig in die ungefähre Richtung des Schützen und rolle mich durch das Gesträuch in den Schutz eines Grabsteins. Pilzartige grüne Explosionen im hohen Gras neben meinem Arm zeugen vom Einschlag weiterer Kugeln. Im nächsten Moment klebe ich schwer atmend mit dem Rücken am Grabstein.
    Die Spezialeinheit des Generals erreicht wahrscheinlich gerade den Haupteingang. Am Klügsten wäre es zu warten, aber dazu habe ich keine Lust. Der Schütze ist kein Profi, sonst läge mein Gehirn schon überall auf dem Rasen verteilt. Dem Winkel seiner Fehlschüsse nach befindet er sich irgendwo schräg oberhalb von mir - wahrscheinlich hinter einem der Fenster im Glockenturm, von wo aus man das Gelände vor der Kathedrale überblickt und auch meine dürftige Deckung hinter dem verwitterten Grabstein.
    Ich krabble weiter zu einem Sarkophag auf einem etwa einen Meter hohen Betonsockel. Stürze ohne zu zögern zum nächsten Grabstein mit einem orthodoxen Kreuz, das vom Einschlag einer Kugel erschüttert wird, als ich dahinter springe. Ein weiterer Schuss erwischt mich

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