Russisches Abendmahl
strahlt, als würde sie von hinten beleuchtet. Ich frage mich, wie wohl Leonardo Valjas gespensterhaften Glanz eingefangen hätte.
Als ich sie zum ersten Mal sah, war sie eine schlammmaskierte tschetschenische Kämpferin mit einer viel zu großen qualmenden Kalaschnikow über der Schulter. Ich kam zu spät aus meinem Versteck, um sie daran zu hindern, drei leichtsinnige russische Infanteristen niederzumähen. Sie hörte das saugende Geräusch meiner Stiefel im Matsch und fuhr herum. Ich sah zwei riesige Augen, die grau glühten wie elektrisierte Gewitterwolken. Ihr Gewehr war so groß, dass sie eine Extrasekunde brauchte, um es in Position zu bringen, lang genug für mich, um die drei Meter zwischen uns zurückzulegen und sie unter Kratzen, Bissen und Tritten zu überwältigen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch zwei echte Füße. Jetzt habe ich nur noch einen und ihre Maske sind ihre immerwechselnden Augen.
»Vergiss die Leda «, sagt sie.
Ich beobachte Juri.
»Das Geschäft läuft gut«, sagt sie mit einer angespannten Stimme, wie ich sie noch nie bei ihr gehört habe. »Es ist gutes Geld.«
Juri ist nur noch wenige Meter vom Wachhäuschen entfernt.
»Der General wird Verständnis dafür haben«, sagt sie.
»Maxim nicht.«
»Ich kann mich an ihn ranmachen und ihn töten.«
Das mit dem Ranmachen ginge vielleicht noch. Er mag junge Mädchen, und ich habe gesehen, wie er sie anguckt. Aber Maxim zu töten, ist nicht einfach. Wahrscheinlich sogar unmöglich. »Selbst wenn, wir wären den Rest unseres Lebens auf der Flucht.«
Sie will protestieren, aber ich schneide ihr das Wort ab. »Es geht um mehr als die Leda . Es steckt jemand dahinter, und denjenigen will ich. Oder diejenigen. Und Arkadij und Lipman müssen sterben.«
»Wir sind hier nicht im Rachegeschäft, Alexei.«
Und sie hat mir vorgeworfen, zu weich zu sein?
»Manchmal doch.«
Juri blinkt mit der Taschenlampe. Wir steigen aus. Valja schließt das Gitter auf, und ich schiebe es längs der im Bürgersteig eingelassenen Schienen auseinander. Dann öffnet sie die Tür und huscht hinein. Während sie die Zahlenkombination in die blinkende Alarmanlage eingibt, werfe ich einen letzten Blick auf den menschenleeren Boulevard. Juri hat seinen Rundgang wieder aufgenommen. Ein Auto tuckert zwei Blocks weiter die Straße entlang. Eine Brise treibt raschelnd ein Bonbonpapier über den Asphalt. Wir sind unbeobachtet.
Das Foyer ist, abgesehen von einem gebogenen Empfangstresen aus hellem Holz und poliertem Chrom, leer. Keine Stühle, keine Magazine, keine Kunst an den Wänden. Gerade wollen wir die Doppelschwingtür links neben dem Empfang aufstoßen, als uns der ranzige Geruch auffällt. Es riecht nach Schlachtfeld.
Valja rümpft die Nase. »Orlan?«
»Glaube ich kaum.«
Sie streckt ihr Kinn vor, wie um zu fragen, Wer dann? Ohne zu antworten, hole ich tief Luft und trete durch die Schwingtür in die Galerie.
Der Raum ist halbdunkel, fast neblig und von niedrigen, versteckten Lampen erleuchtet - nur ganz hinten scheinen die Spots direkt von oben. Im vorderen Bereich hängen oben an den Wänden Halogenlampen, aber ihr gedämpftes Licht fällt auf kahle Wände. Drahtseile hängen von der Decke wie Angelschnüre ohne Fische. Alle Kunstwerke sind weg.
Nur eines nicht, das im Hintergrund von einem Lichtkegel eingerahmt ist.
Valja bleibt wortlos zurück, als ich von einer krankhaften Faszination gepackt darauf zugehe. Der hintere Teil der Galerie ist für das zentrale Stück der Ausstellung reserviert. Darauf weisen der trichterförmige Raum und das weiche Licht der Spots hin. Die straffen Seile, an denen das jüngst aufgehängte neue Werk hängt, verschwinden im Dunkeln. Der Körper darunter scheint in endlosem Fall gefangen.
»Was hing vorher dort?«, frage ich.
Sie hält sich die Hand vor den Mund, um den Geruch abzuwehren. »Ein Monet. Die Gärten von Giverny. Orlan war sehr stolz darauf.«
Das neue Werk hängt an den Füßen über einer Lache getrockneten Blutes von mindestens zwei Metern Durchmesser, die wasserfallartig drei Marmorstufen in den Besucherraum läuft. Langsam schwingt und dreht es sich im Strom der Belüftungsanlage. Dünnes blondes Haar, vom Blut dunkel gefärbt, treibt wie Quallententakel unter dem blau angelaufenen Gesicht. Alles was an Körperflüssigkeiten nicht aus dem Schlitz im Hals geflossen ist, hat sich hier angesammelt.
Ich will ihn auf den Boden runterlassen, sei es nur um unserer gemeinsamen Waisengeschichte willen, aber
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