Russisches Abendmahl
geführt, aber ich glaube nicht, dass er von Strahows Verbindung zu Peter wusste. Peter ist so etwas wie der Joker in diesem Spiel.
Er steht jetzt ganz dicht vor mir, sein Gesicht ist nur Zentimeter von meinem entfernt, auf der anderen Seite des Leders. Inzwischen habe ich mich an den Geruch der Kappe gewöhnt, sodass auch andere feinere Nuancen zu mir durchdringen. Den Duft von Kaffee und Zigarren begleitet ein subtiler Hauch von Parfüm.
Er flüstert: »Demnach kann ich nicht darauf vertrauen, das Sie mit mir zusammenarbeiten. Gut. Ich gebe Ihnen einen kleinen Anreiz.«
Seine Schritte entfernen sich. Er schlägt gegen die Tür. Ein Summer ertönt und die Tür öffnet sich fast geräuschlos.
»Das Mädchen bleibt bei mir«, sagt er. Mein Herz fängt an zu pochen. »In Stücken«, fügt er hinzu, und das Pochen droht meine Brust zu zersprengen. »Zwei, um genau zu sein. Ich wollte ein zusammenpassendes Paar - wie Bücherstützen, Sie und Ihre kleine Nutte.«
Ich bin am Ende. Das Blut wirbelt und tost in meinem Kopf. Das Summen in meinen Ohren vibriert bis ins Rückenmark. Alles wozu ich fähig bin, ist ein fremdes Krächzen, als versuche jemand anderes, mit meinen Stimmbändern und meiner Zunge Worte zu formen.
»Was sagen Sie?«
Sein Glucksen klingt wie ein Gletscher, der sich über zerklüfteten Granit schiebt. »Ich lasse Sie selbst entscheiden. Denken Sie daran, eine Woche. So lange und keinen Tag mehr haben Sie, um das Gemälde zu finden. Ich tausche es ein. Die Leda gegen Ihren kleinen Liebling, minus einen Fuß. Ehrenwort.«
Mit dem Zuschlagen der Tür bricht sein Lachen ab.
19
Als Peter weg ist, versuche ich, meinen Stuhl näher an sie heranzurücken, aber er ist am Boden festgeschraubt. Schwer atmend lasse ich mich zurückfallen und horche auf die medizinischen Geräte, von denen ich annehmen muss, dass Valja an sie angeschlossen ist. Ich versuche, nicht daran zu denken, was man ihr angetan hat und wie.
Die Tür geht auf. Stahlräder rollen über Kacheln. Etwas fällt zu Boden. Das unverwechselbare Geräusch von Händen, die in Eiswürfeln rühren, gefolgt von klirrenden Schnitten. Die Haube kommt runter.
Ich bin in einem Krankenhauszimmer. Weiße Kacheln und grelles Licht blenden mich. Allmählich erkenne ich mattgraue Maschinen, ein Krankenbett, zu hoch, um über den Rand zu sehen, und eine blaue Eistruhe, die offen auf dem Boden steht. Daneben stehen Strahow und ein rundlicher Mann im Operationskittel mit einem Stethoskop um den Hals.
Ich nehme all diese Dinge zugleich wahr, wie ein Stillleben-Fotograf, ohne sie richtig zu sehen. Ich kann den Blick nicht von der dreibeinigen Erscheinung aus rostfreiem Stahl vor mir abwenden. Es ist ein Infusionsständer mit einem langen, abstehenden Arm. Er sieht aus wie eine unheimliche Vogelscheuche. Am Arm hängt eine durchsichtige Plastiktüte. Das außen herunterlaufende Wasser hinterlässt glitzernde Spuren auf der Tüte und tropft auf die Kacheln. In der Tüte befindet sich ein alabasterfarbener Fuß samt schimmerndem Knöchel und dem Ansatz einer schmerzhaft gewundenen Wade, die in drei Metallklammern endet.
Strahow lächelt über meine Reaktion. Er macht meine Ketten los, zieht mich hoch und schiebt mich näher an das Bett heran, so weit, dass ich über den Rand gucken kann. Mein Blick wandert von Valjas Fuß zu ihrem knochenweißen, von Erschöpfung gezeichneten Gesicht. Meine Geliebte ist umgeben von piependen, klickenden, pochenden Geräten. Ich sehe sie im Profil zwischen dem Herzmonitor und einer anderen Maschine, die wahrscheinlich ihren Atem regulieren soll.
Ihre Augenlider sind durchsichtig, von einem hellblau-roten Netz durchzogen. Ein Büschel weißes Haar weht in der Luft wie die Blätter einer Unterwasserpflanze. Ein Schlauch kommt aus ihrem Mund und schlängelt sich über ihren schrecklich zarten Körper zum Beatmungsgerät. Diverse Kabel und Schläuche sprießen aus Brust und Armen. Ein Leib aus Draht und Metall. Ich bin froh, dass sie nicht bei Bewusstsein ist. Dieses Glück war ihr nicht immer vergönnt.
Nachdem man Valjas Familie ermordet hatte, weil sie als Moslems am falschen Ort lebten, wurde sie wochenlang systematisch vergewaltigt, bis zu dem Zeitpunkt, als sie versehentlich lange genug unbeaufsichtigt war, um sich ein Gewehr zu schnappen und es auf ihre Peiniger zu richten. Nach zwei Wochen, in denen sie sich versteckt hielt und nur nachts fortbewegte, traf sie auf eine Gruppe tschetschenischer Kämpfer. Sie gaben ihr zu
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