Russisches Abendmahl
irgendetwas wirklich Heikles zu verraten, jedenfalls glaube ich das nicht. Aber er kann mir nach und nach das Geschäft kaputt machen, indem er mir meine Kontakte wegnimmt oder Informationen an meine Konkurrenten weitergibt. Im schlimmsten Fall kann er meine Reisepläne ausgeplaudert und so Valja in Gefahr gebracht haben. Ich ziehe die Augenbrauen hoch und will mehr wissen.
Vadims Lippen werden schmal. Die Kugeln in seiner Hand hören auf zu kreisen. »Er hat sich verkauft.«
Valja sagt, ich sei zum falschen Zeitpunkt zu weich, und vielleicht hat sie recht. Alles was ich weiß, ist, dass Nabi Soldat war. Er hat denselben Dreck wie ich in Tschetschenien gefressen. Außerdem bezahle ich ihn gut genug, um loyal zu bleiben.
»Ich brauche Beweise«, sage ich.
Vadim lässt seine Kugeln weiterkreisen und zuckt kaum wahrnehmbar die Schultern. »Bilder?«
»Nein. Nur Fakten. Es reicht, wenn einer von uns beiden ihn sieht.«
»Okay.«
Ich folge ihm die Stufen hinauf. Er geht Richtung Küche. Ich gehe durch die Tür, auf dem Weg zu zwei toten Soldaten.
29
Hauptmann Dubinin hat durchgedrückte Schultern und einen buschigen Schnurrbart, der ihm jeden Moment aus seinem steinernen Gesicht zu springen scheint. Während er mich unter dem Tainizkaja-Turm und durch den Kreml führt, erkenne ich ihn an seiner steifen Haltung als meinen gewohnten Begleiter wieder.
Die Kasernenunterkünfte sind aus grau gestrichenem Holz und Stahl, und von stalinscher Robustheit. Dubinin geht auf eines der hangarähnlichen Gebäude zu, auf das mit einer Schablone die Bezeichnung D-230 gemalt steht. Als wir hineingehen, salutieren zwei Wachen links und rechts neben der Tür.
Im Eingangsbereich wölbt sich der Linoleumboden, hinter einer Mauer befindet sich der Schlafbereich. Die Wände sind kaffeebraun und voller dunkler Wasserflecken. Ein weiterer Wachmann blockiert die Innentür mit einer Kalaschnikow vor der Brust. Nachdem er Dubinin mit eiserner Miene salutiert hat, tritt er beiseite.
Wir betreten einen offenen Raum, vielleicht fünfzehn Meter breit und zwanzig lang, durchzogen von zwei parallelen Reihen stählerner Stützbalken. Der kräftige Moschusgeruch der vielen Männer, die auf engem Raum zusammenleben, liegt in der Luft. Ordentlich gemachte Feldbetten und stahlgraue Spinde stehen an den Wänden aufgereiht. Grüne Wolldecken sind straff über die Betten gespannt. Auf der anderen Seite des Raums stehen zwei weitere Wachen und versperren die Sicht auf die offene Tür hinter ihnen. Der Eingang und der Raum dahinter sind mit kleinen senffarbenen Kacheln ausgekleidet. Ich habe genügend Jahre an solchen Orten verbracht, um zu wissen, dass die Tür zur Gemeinschaftslatrine führt. Unsere Stiefel hallen dröhnend wider, als wir über den hohlen Zwischenboden aus Stahl schreiten.
Mit einer Geste scheucht Dubinin die Wachen beiseite. Ich folge ihm hinein.
Der gekachelte Boden fällt zu einem Abfluss in der Mitte ab. An der hinteren Wand reihen sich Waschbecken aus rostfreiem Stahl unter einem langen, stumpf gescheuerten Spiegel. Eine weitere gekachelte Türöffnung führt zu den Duschen, wo etwa in einem Meter Abstand eine Düse aus der Wand ragt. Am Boden entlang der Wände verläuft eine Abflussrinne.
Vor uns liegen zwei Leichen ausgestreckt am Boden, die im gleißenden Deckenlicht wie tote Quallen schimmern. Die Beine weit gespreizt, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, den Arsch in der Abflussrinne. Die senffarbene Wand hinter ihnen ist mit zwei Pfauenrädern glänzender Körperflüssigkeiten besprüht. Der Geruch von Blut und Fäkalien verpestet die Luft. Der Kopf des einen Soldaten ist nach unten geklappt. Ein Latz Blut bedeckt seine behaarte Brust. Der Kopf des anderen hängt zur Seite, als warte er darauf, eine wichtige Frage beantwortet zu bekommen. In den Fugen fließen kleine Rinnsale von der sich verdickenden Lache um ihre Körper ab.
Dubinin zeigt auf die Soldaten und sagt jeweils ihre Namen, die ich sofort vergesse. Sie wurden für etwas getötet, was sie getan oder gesehen haben, nicht für das, was sie sind.
»Er hat ihnen den Lauf in den Hals gesteckt«, sagt Dubinin.
Vielleicht weiß er mehr als ich. »Wer?«
Der Hauptmann sieht mich ausdruckslos an, scheinbar verwundert über die Frage. Er blinzelt. »Um das herauszufinden, sind wir hier«, sagt er schließlich.
Ich hocke mich neben den fragenden Soldaten und streife mir gepuderte Latexhandschuhe über die Hände. Als er noch lebte, waren seine Wangen voller
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