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Russisches Poker

Russisches Poker

Titel: Russisches Poker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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das Geld nicht. Er hob die klaren Augen gen Himmel und sprach mit klangvoller Stimme: »Du gibst wenig, Gottesknecht. Mit Kleingeld willst du die Wohltätige Gottesmutter gnädig stimmen.« Er blickte Jeropkin direkt in die Augen, und dem ehrenwerten Manne wurde ganz unheimlich, so streng und starr war dieser Blick. »Ich sehe deine sündige Seele. Dein Herz hat einen blutigen Fleck, und in deinem Inneren ist Fäulnis. Reinigen mußt du dich, reinigen«, sang der junge Gottgefällige. »Sonst verfaulst du unter Gestank. Dein Bauch tut weh, Samson, der Nierenstein quält dich? Vom Schmutz kommt das, du mußt dich reinigen.«
    Jeropkin erstarrte. Wie sollte er nicht! Seine Nieren waren tatsächlich nichts mehr wert, und auf der linken Brusthälfte hatte er ein großes weinrotes Muttermal. Die Informationen von Jegor Tischkin trafen zu.
    »Wer bist du?« hauchte Seine Exzellenz furchtsam.
    Der Knabe gab keine Antwort. Wieder hob er die blauen Augen gen Himmel, und seine Lippen bebten.
    »Ein Gottesnarr ist er, du unser Ernährer«, wurde dem Jeropkin von beiden Seiten beflissen zugeraunt. »Er ist den ersten Tag hier, Väterchen. Keiner weiß, wo er herkommt. Er redet törichtes Zeug. Paissi heißt er. Leidet an der Fallsucht. Vorhin kam Schaum aus seinem Mund, der roch nach Paradies. Ein Gottesmann.«
    »Na, da hast du einen Rubel, wenn du ein Gottesmann bist. Bete für die Vergebung meiner schweren Sünden.«
    Jeropkin entnahm dem Geldbeutel einen Schein, aber der Gottesnarr griff wieder nicht zu. Er sagte mit leiser, gefühlvoller Stimme: »Gib nicht mir. Ich brauche nichts, mich ernährt Unsere Liebe Frau. Ihm gib.« Und er zeigte auf den alten Bettler, den der ganze Markt als den beinlosen Soska kannte. »Dein Knecht hat ihm gestern weh getan. Gib dem armen Mann, und ich will für dich zur Jungfrau beten.«
    Soska rollte bereitwillig auf seinem Wägelchen herbei und streckte die knorrige, gewaltige Pranke aus. Jeropkin legte angewidert den Geldschein hinein.
    »Die heilige Gottesmutter segne dich«, rief der Knabe mit schallender Stimme und streckte Jeropkin die schmale Hand entgegen. Und da geschah das Wunder, von dem noch lange in Moskau gesprochen wurde.
    Von irgendwoher kam ein mächtiger Rabe geflogen und setzte sich auf die Schulter des Gottesnarren. Die Menge der Bettler ächzte auf. Und als sie sahen, daß der schwarze Vogel einen Goldring in der Kralle hielt, wurde es ganz still.
    Jeropkin stand da, weder tot noch lebendig, die dicken Lippen bebten, die Augen quollen aus den Höhlen. Er wollte sich bekreuzigen, konnte aber die Hand nicht rühren.
    Aus den Augen des Gottesnarren rannen Tränen.
    »Du tust mir leid, Samson«, sagte er, nahm dem Raben den Ring aus der Kralle und reichte ihn Jeropkin. »Er ist dein. Die Gottesmutter nimmt deinen Rubel nicht an, darum macht sie dir ein Gegengeschenk. Und den Raben schickt sie, weil deine Seele schwarz ist.«
    Der Gottesnarr wandte sich ab und ging still davon.
    »Halt!« schrie Jeropkin und betrachtete verwirrt den funkelnden Ring. »He, du, warte! Kusma, setz ihn in den Schlitten! Wir nehmen ihn mit!«
    Der schwarzbärtige Vierschrot lief dem Knaben nach und faßte ihn an der Schulter.
    »Wir fahren zu mir, hörst du, wie heißt du gleich, Paissi!« rief Jeropkin. »Du kannst eine Weile bei mir wohnen, dich wärmen.«
    »Ich darf nicht in einem steinernen Palast wohnen«, antwortete der Knabe streng. »Da wird die Seele blind. Aber du hör zu, Samson. Wenn morgen die Frühmesse gelesen wird, komm zur Iberischen Kapelle. Ich werde dort sein. Bring einen Beutel Goldrubel mit, und voll soll er sein. Ich will für dich wieder zur Gottesmutter beten.«
    Er ging, und viele Blicke folgten ihm. Auf seiner Schulter saß der schwarze Rabe, pickte nach dem Hemd und krächzte heiser.
    (Der Rabe hieß Balthasar und war dressiert. Momus hatte ihn tags zuvor auf dem Vogelmarkt gekauft. Das kluge Tier hatte den simplen Trick rasch gelernt: Mimi hatte Hirsekörner in die Schulternaht ihres Hemdes gestreut, Momus ließ Balthasar fliegen, und der flog zu dem weißen Hemd – erst auf fünf, dann auf fünfzehn, schließlich auf dreißig Schritte Entfernung.)
    Er kam, der Blutsauger. Ganz brav kam er an. Und er brachte den Beutel mit, der war aus Leder, und Kusma trug ihn seinem Herrn hinterher.
    In der Nacht hatten den wohltätigen Jeropkin, wie zu erwarten, Zweifel beschlichen. Er probierte das Ringlein der Gottesmutter mit dem Zahn, machte sogar die Säureprobe. Zweifeln Sie

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