Russisches Requiem
Gitter seiner Zelle hinauf zum Himmel zu schauen. Die Kirche auf dem Daumen besagt, dass er schon als Bandit geboren wurde, und der Skarabäus am Ringfinger ist sein Talisman. Er hat ihm Glück gebracht - bis gestern zumindest.«
»So was habe ich noch nie gesehen. Solche Verstümmelungen. Einen aus den eigenen Reihen so zuzurichten? Das müssen Wilde sein. Teufel.« Larinin wirkte eher verblüfft als zornig.
Koroljow beobachtete Dr. Tschestnowa, die sich zunächst weiter darauf beschränkte, die Leiche zu waschen.
Schließlich blickte sie auf. »Diese Brandmale sind so ungewöhnlich, ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass hier derselbe Mann zugange war, der auch das Mädchen ermordet hat.« Ihre Augen waren rot vor Müdigkeit, aber sie führte den Schlauch mit ruhiger Hand, als nach und nach weitere Tätowierungen, Narben und Wunden zum Vorschein kamen. Ein Bild verband die Namen Lena und Tesak in einem Herzen mit einem Katzenkopf darüber: ein Banditenpaar. Jetzt kannten sie vermutlich auch den Namen des Mannes.
Koroljow wandte sich wieder an Semjonow. »Schauen Sie, Wanja, die zwei Namen. Die Katze ist das Zeichen der Banditen, und das Herz steht für eine romantische Beziehung, wie nicht anders zu erwarten. Da Lena ein Frauenname ist, können wir rein logisch annehmen, dass der Tote Tesak hieß. Das dürfte die Suche nach seiner Akte wohl ein bisschen erleichtern.«
Eine lange Stunde später lehnten Koroljow und Semjonow an der Motorhaube des Ford und genossen eine wohlverdiente Zigarette.
»Zwei Autopsien an zwei Tagen nacheinander. Hoffentlich erwischen wir den Kerl bald«, knurrte Koroljow, als Larinin zu ihnen trat. »Nun, Genosse Larinin, was halten Sie von der Sache?«
»Ein toter Bandit? Wir sollten feiern.«
»Stimmt, kein großer Verlust für die Revolution. Aber es sieht ganz danach aus, als wäre er von demselben Täter ermordet worden wie die junge Frau gestern. Das heißt, die Ermittlungen müssen zusammengelegt werden. Ich fahre mit Semjonow raus zum Stadion, nur für den Fall, dass etwas übersehen wurde.«
»Sie verschwenden Ihre Zeit. Er wurde dort abgelegt, das habe ich schon gesagt. Da gibt es nichts mehr zu finden.«
Koroljow schluckte seinen Ärger hinunter. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er Dr. Tschestnowa hinaus zur Fundstelle gerufen, statt die Leiche einfach abholen zu lassen. Larinin schien der Ansicht, dass er mit dem Rang auch Koroljows ermittlerische Erfahrung erworben hatte. Dabei hatte er keine Ahnung.
»Genosse«, erwiderte er, »Sie können gern weiter an dem Fall mitarbeiten, jede Verstärkung ist willkommen. Sollten Sie lieber eine andere Aufgabe übernehmen, werde ich das dem General empfehlen. Aber wie ich meine Ermittlungen führe, bestimme ich selbst.«
Larinin war deutlich anzusehen, wie er die Vorzüge der Beteiligung an einer erfolgreichen Untersuchung, bei der Koroljow die meiste Arbeit leistete, gegen drohende negative Auswirkungen abwägte, wenn er aus dem Fall ausstieg. Es war keine schwere Entscheidung. Sollte etwas schiefgehen, konnte er immer noch Koroljow die Schuld geben.
»Selbstverständlich, Hauptmann Koroljow. Es ist nur vernünftig, uns bei den Ermittlungen abzustimmen, und wenn Sie den Fundort überprüfen wollen, dann bleibt das ganz Ihnen überlassen. Wir arbeiten zusammen, wie es sich für Genossen gehört.« Larinin streckte die Hand aus.
Nach kurzem Zögern schlug Koroljow ein. Es war ein weicher, distanzierter Händedruck, an den sich keiner von beiden gebunden fühlte.
Larinin nickte Semjonow zu. »Als Partner«, sagte er zu dem Jüngeren, ehe er sich wieder Koroljow zuwandte. Seine Stimme klang ein wenig zu munter.
Der Kerl schaffte es nicht einmal, Aufrichtigkeit zu heucheln. Koroljow ließ seine Hand los. Trotzdem, das Schicksal oder zumindest der General hatte sie zusammen vor diesen Karren gespannt, und wenn sie gemeinsam an dem Fall arbeiteten, sollte er wenigstens zusehen, dass er den größtmöglichen Nutzen daraus zog. »Nun gut, Genosse Larinin, dann erzählen Sie mir bitte nochmal ganz genau, wo Sie die Leiche gefunden haben.«
10
Auf dem Weg zum Tomski-Stadion war Semjonow sehr schweigsam, und auch sein Fahrstil schien etwas von seinem natürlichen Enthusiasmus eingebüßt zu haben. Koroljow nahm dies aber nur am Rande zur Kenntnis, weil er fieberhaft überlegte, was für ein Zusammenhang zwischen den Morden an einem Banditen und einer ausländischen Nonne bestehen konnte. Mischten die Banditen beim
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