Russka
Kindes. Die anderen Kosaken nannten ihn liebevoll »Bär«.
Es war seltsam, daß der anmutige junge Mann vom Dnjepr und dieser naive Riese vom Don enge Freunde geworden waren, doch jeder bewunderte die Fähigkeiten des anderen, und die beiden vertrauten einander alles vorbehaltlos an. Stepan hatte Andrej erzählt, daß er nach diesem Krieg sein unstetes Leben aufgeben und heiraten wolle.
»Wer ist denn das Mädchen, das du heiratest?« fragte Andrej. »Die eine.«
»Welche eine?«
»Die, die das Schicksal für mich bereithält.«
»Du kennst sie noch nicht?«
»Nein.«
»Aber sag mir… dieses traumhafte Mädchen… wie wirst du es denn erkennen?«
»Ich werde es sofort wissen!«
»Wird Gott es dir sagen?«
»Ja.«
»Ach, du guter Bär, wie gern ich dich habe«, sagte Andrej und umarmte den Freund herzlich.
Heute hatten sie auf ihrem Gang durchs Lager anderes im Sinn. Jeden Augenblick würden sie aufbrechen und ins Herz der Ukraine vordringen. Andrej war es während der Wintermonate im Lager klargeworden, daß dieser Aufstand keine unbedeutende Revolte war. Seit die Polen fünfzehn Jahre zuvor die letzte Erhebung der Kosaken niedergeschlagen hatten, schwelte unter dem scheinbaren Frieden in der Ukraine heftiger Unmut. Im Lager hatte Andrej erkannt, daß das Los seines Vaters keinesfalls ein Einzelfall war. Etwa die Hälfte der kleineren Höfe in der Ukraine waren längst in den Händen jüdischer Pächter.
Die Vorbereitungen für den kommenden Aufstand wurden von einem Mann geführt, der in ähnlicher Lage wie Andrejs Vater war, wenn auch wohlhabender und gebildeter. Sein Besitz war nicht nur widerrechtlich von einem polnischen Unterpräfekten beschlagnahmt worden, man hatte auch seinen zehnjährigen Sohn zu Tode geprügelt, weil er protestiert hatte. Sein Name, Bohdan Chmelnyckyj, war seither in der Ukraine hoch geschätzt. Die Kosaken nannten ihn zu der Zeit einfach Chmel.
Er war zu den Zaporogern heruntergekommen und hatte sie um Hilfe gebeten. Monatelang hatte er Geheimagenten in alle ukrainischen Ortschaften gesandt. Chmel hatte den glänzendsten Schlag geführt. In diesem Februar war er durch die Steppe zum Hauptquartier des Khans der Krim-Tataren gezogen, und durch eine List hatte er diesen davon überzeugt, daß die Polen einen Angriff auf ihn planten. So erging an diesem Tag die Nachricht, daß nicht weniger als viertausend tollkühne Tatarenkavalleristen am folgenden Tag das Zaporoger Lager erreichen würden.
Der Kampf verband würde ins Zentrum der Ukraine vordringen, und im Zuge dessen sollte sich das ganze Land erheben. »Wir werden diesen Polen eine Lektion erteilen«, frohlockte Andrej, »und dann gehört der Hof uns.«
Selbst mit einem solchen Heer war es ein wagemutiges Unterfangen. Die von den Polen aufgestellte Armee war viel größer und gut ausgebildet. Und selbst wenn die Kosaken siegten, blieb immer noch die Frage, was als nächstes geschehen sollte. Was würden sie verlangen, wofür kämpften sie?
Die polnische Unterdrückung mußte natürlich ein Ende haben. Dann kämen Männer wie Andrejs Vater wieder zu Reichtum und Ansehen. Selbstverständlich gäbe es für jeden reiche Beute. Aber was sonst erreicht werden könnte, davon hatte Andrej keine klare Vorstellung.
Dagegen hatte der einfältige Stepan die Angelegenheit nicht nur genau überlegt, sondern auch eine ausführliche Antwort parat. »Wir brauchen einen freien Kosakenstaat«, setzte er Andrej auseinander, »mit Gleichheit und Stimmrecht für jedermann. Wie bei den Don-Kosaken. Keine Reichen, keine Armen; keine Herren, keine Knechte. Bei uns am Don sind alle gleich.« Wie edel das klang! Eine Gemeinschaft von Brüdern. »Natürlich«, fügte Stepan hinzu, »werfen wir zuerst alle Katholiken und Juden hinaus.«
Ihr Gespräch wurde von einem plötzlichen Lärm am Lagerrand unterbrochen. Es war das Signal. Üblicherweise wurde mit Kesselpauken zum Sammeln gerufen, doch wenn es sich um so viele Menschen handelte, wurden Geschütze abgefeuert. Innerhalb weniger Minuten hatten sich Tausende auf dem Sammelplatz bei der kleinen Kirche der Kosaken eingefunden. Unter lauten Beifallsrufen führte der Lagerchef, der Ataman, Bohdan herbei, damit er sie begrüße.
Er war ein großer derber Bursche mit einem groben bärtigen Gesicht, eben ein typischer Kosaken-Großgrundbesitzer. Allerdings zeigte er ein unerwartetes Redetalent In knappen Sätzen berichtete er den Männern noch einmal von seinen Leiden, der schändlichen Behandlung
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