Russka
durch die Polen. »Darf man so mit tapferen Kosaken umgehen, meine Brüder?« brüllte er.
»Niemals!« schrien alle.
Der Redner blickte in die Runde. »Sollen wir für alle Zeiten leiden, während unsere Gemeinschaft, Frauen, Kinder, ganze Familien niedergemetzelt werden, oder sollen wir kämpfen?«
»Wir kämpfen«, riefen sie.
Nun trat der Ataman vor. »Ich habe einen Vorschlag, meine Brüder«, sagte er.
»Laß hören!« erscholl es aus Hunderten von Kehlen. »Ich schlage vor, Bohdan Chmelnyckyj zu unserem Oberhaupt, zum Vertreter aller Kosaken in der Ukraine, zu ernennen. Er soll unser Hetman werden. Wer ist einverstanden?«
»Wir sind einverstanden«, tönte es von allen Seiten. »Bringt die Standarte her.«
Da setzte auch Andrejs Herz einen Schlag lang aus. Sie brachten die berühmte Pferdeschwanz-Standarte der Kosaken. Wenn sie hochgehalten wurde, zitterten selbst die polnischen Herren und die osmanischen Türken: Das bedeutete, daß die freien Kosaken bis in den Tod kämpfen würden. »Wir brechen in der Dämmerung auf«, verkündete der Hetman.
In den langen Annalen menschlicher Grausamkeit und Torheit – die sich leider immer wiederholen werden – verdient das Jahr 1648 aus verschiedenen Gründen besondere Erwähnung. Es veränderte die russische Geschichte. Ab Mitte April stieß die Kosakenarmee – achttausend Kosaken, vier Geschütze, viertausend Tataren als Nachhut – am Westufer des Dnjepr über die Steppe vor. An ihrer Spitze trugen sie das große rote Banner mit dem Bild des Erzengels darauf.
Die Polen wußten von dieser Aktion und trafen Vorbereitungen. Der polnische Militärkommandeur, der Magnat Potocki, errichtete sein Hauptquartier am Westufer etwa achtzig Meilen unterhalb von Perejaslavl. Von hier aus schickte er eine Vorhut in zwei Abteilungen los. Der ersten gehörten unter dem Befehl seines Sohnes fünfzehnhundert Polen und etwa zweitausendfünfhundert Kosaken an, die regulären Militärdienst leisteten; die zweite bestand aus weiteren zweitausendfünfhundert Kosakensoldaten und einem Kontingent deutscher Söldner. Damit sollte in Kodak eine Garnison gebildet und die Stadt befestigt werden.
Entweder war es Torheit oder übermäßige Arroganz, die den Gedanken aufkommen ließ, die so zusammengesetzten Truppen würden sich loyal verhalten. Zudem waren Bohdans Spione bereits eingeschleust.
Die Abteilung, der die Deutschen angehörten, entschied sich, als sie der Rebellen ansichtig wurde, sich ihnen unverzüglich anzuschließen. Sie töteten zwei ihrer Offiziere und die Deutschen. Am nächsten Tag, dem 6. Mai, stellte der junge Potocki fest, daß seine Kosaken ihn ebenfalls im Stich gelassen hatten. Er und seine Polen wurden hingemetzelt.
Die Kosakenarmee mit der polnischen Kerntruppe kam zehn Tage später in die Nähe der unbedeutenden Stadt Korsun, dreißig Meilen südwestlich von Perejaslavl. Hier fielen die vereinigten Kosaken und Tataren über sie her.
Die Schlacht von Korsun war ein voller Erfolg. Potocki und nicht weniger als achtzig polnische Fürsten wurden gefangengenommen. Es gab reiche Beute. Die Kosaken eroberten außerdem einundvierzig Geschütze und Tausende von Pferden. Andrej und Stepan waren jetzt reiche Leute. Sie hatten Seite an Seite gekämpft, einen Keil in die Reihen der polnischen Soldaten getrieben. Wenn Stepan in blinder Wut nach vorn preschte, gab Andrej seinem Freund Rückendeckung und lenkte ihn geschickt. Selbst Bohdan wurde auf die beiden aufmerksam und meinte: »Der Große ist mutig, aber der Jüngere ist dazu auch noch listig.« Am Ende der Schlacht, als die ganze Truppe sich in eine wilde Orgie mit Trinken und Tanzen stürzte, übergab der Hetman jedem der beiden neben der üblichen Beute, die jeder Kosak bekam, noch sechs der prächtigsten polnischen Pferde. »Noch eine solche Schlacht, und du kannst dir deinen Hof kaufen«, sagte Andrej zu seinem Freund.
Die kostbarste Belohnung bekamen jedoch die Tatarenkavalleristen: alle polnischen Adligen. Mit diesen Gefangenen zogen sie zur Krim, um sie zu verkaufen.
Bohdans Revolte kam für die Ukrainer zu einem höchst günstigen Zeitpunkt. Gleich nach der Schlacht von Korsun traf die Nachricht ein, der König von Polen sei verstorben. In der polnischen Hauptstadt Warschau übernahmen bis zur Wahl eines neuen Königs der katholische Primas und der Kanzler die Staatsgeschäfte. Der Staatenbund befand sich im Zustand totaler Schwäche. In den Tagen nach der Schlacht hörte man in der Ukraine von
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