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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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einer einsamen Stelle gehe, werde sie es ihm zeigen. »Du kannst mir mit deiner Pistole ins Herz schießen«, behauptete sie, »und ich werde es nicht einmal spüren. Komm, ich beweise es dir.« Und so hatte der harmlose Mensch sie getötet. Selbst jetzt konnte er noch nicht glauben, daß sein Glaube in sein Schicksal so erschüttert werden sollte. Er schüttelte den Kopf. »Da stimmt doch etwas nicht. Vielleicht ist sie nur ohnmächtig.«
    Keiner der Kosaken außer Andrej schien zu verstehen, daß dieser Tod dem Mädchen lieber gewesen war, als von Christenhänden entehrt zu werden, selbst wenn es liebevolle Hände wären. Andrej kümmerte sich um die Beerdigung und überlegte, ob er ihren Bruder holen sollte, doch dann ließ er es lieber. Aber der kleine Kerl sollte eine Erinnerung an seine Schwester haben. Andrej fand zu seiner Überraschung am Hals des Mädchens eine kleine alte Metallscheibe mit dreigezacktem Emblem an einer Kette. Die nahm er für den Jungen mit.
    Das Mädchen wurde in ein Grab am Rande der Steppe gelegt. Sie hatte nicht geahnt, daß ihre Reise mit Stepan in das Land hinter dem Don sie in die Heimat ihrer Chazarenvorfahren gebracht hatte. Nach einiger Zeit fand Stepan seine merkwürdige Erklärung für das Unglück: »Es war die Wildkatze, die wir gesehen haben. Sie muß mich doch angeschaut haben. Ja, das war es.« Vjschnevetskij rekrutierte Anfang Juni ein Heer von etwa sechstausend Mann von seinen eigenen ausgedehnten Besitzungen und überquerte den Dnjepr in westlicher Richtung. Auf seinen Befehl brannte dieses Heer jede ukrainische Siedlung, auf die es stieß, nieder, plünderte und massakrierte die Einwohner. Im Juli wurden die Kämpfe wiederaufgenommen. In den folgenden Monaten wurde Andrej in den Rang eines esual befördert. Im weiteren Kriegsverlauf vergaß er nicht, nach Stanislaus und Anna Ausschau zu halten.
    1649
    Zuerst schien alles gutzugehen. Es war ein allgemeiner Aufstand gewesen. Ende 1648 nannte sich die Hälfte der ukrainischen Bevölkerung Kosaken. Bohdan und seine Leute hatten weitere glorreiche Siege über Polen errungen, wieder hundert Geschütze und einen Troß erbeutet, der hundert Millionen polnische Zloty enthielt. Die siegreichen Kosaken wurden bei ihrem Einzug in Kiev von den freien Stadtbewohnern und dem Metropoliten selbst als die Retter der alten Länder der Rus gefeiert.
    Ein neuer polnischer König hatte einen Waffenstillstand geschlossen; Freundschaftsabkommen wurden mit dem türkischen Sultan und seinen osteuropäischen Vasallen getroffen. Trotz all dieser Triumphe war Stepan nicht froh. Seit jenem furchtbaren Tag in Russka hatte er nie wieder von dem Mädchen gesprochen, aber Andrej spürte, daß eine grundlegende Veränderung in dem Freund vorgegangen war. Stepans kindlicher Glaube an sein glückliches Geschick war zerstört. Wenn er auch weiterhin neben seinen Kameraden focht, er hatte den Glauben an ihre gute Sache verloren. Diese Enttäuschung auf Stepans Seite führte schließlich zur Trennung der beiden Freunde.
    Der demokratische Kosakenstaat in der Ukraine war bereits verloren, ehe er überhaupt zu existieren begonnen hatte. Denn Bohdan war nicht in der Lage, seine Siege über Polen wirklich zu nutzen. Als Andrej die Bauern auf ihre Höfe zurückkehren sah, wurde ihm auch klar, warum nicht. »Wir sind nicht stark genug, einen langen Kampf ohne Verbündete durchzustehen«, sagte er.
    Da gab es zwar die Tataren, doch wie die meisten Söldner waren sie nur auf Gewinn aus. Im folgenden Frühjahr weigerten sie sich zu kämpfen, es sei denn, der Sieg würde garantiert. Im Frühsommer trafen sie eigene Abmachungen mit den Polen. Die Rolle der Kosaken in der Geschichte war immer die gleiche: Sie konnten zwar einen anderen Staat stützen oder zerbrechen, doch sie waren nie stark und zahlreich genug, um einen eigenen lebensfähigen Staat zu bilden. Sie brauchten einen Beschützer – entweder Polen, den Krim-Khan, den türkischen Sultan oder den russischen Zaren.
    Im Sommer 1649 setzten die Kosaken ein Abkommen mit dem polnischen Staatenbund durch. Für polnische Verhältnisse waren die Bedingungen erstaunlich. Tatsächlich versprach man Bohdan und den Kosaken einen Staat im Staate. Nicht weniger als vierzigtausend von ihnen sollten ordnungsgemäß registriert werden. Das alte Kiev und zwei andere Städte sollten Hauptquartiere der Kosakenregimenter werden. Jesuiten und Juden durften nicht dort leben.
    »Es hat sich gelohnt zu kämpfen«, meinte Andrej

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