Russka
hatten.
Die Gesandten befanden sich etwa fünfzig Meilen unterhalb der großen, ostwärts gerichteten Schleife der Oka, als sie auf die alte Grenzlinie trafen. Wenn auch nicht so beeindruckend wie die neue Belgorodlinie, so war sie doch eine Demonstration der unglaublichen Macht des Moskauer Reiches. Die hölzernen Befestigungen und Palisaden waren immer noch intakt.
Unmittelbar hinter dieser Linie erreichten die Reisenden die weithin gestreckte Industriestadt Tula. Andrej hatte solch eine Stadt noch nie gesehen. Aus den langen, soliden Häusern aus Holz oder Backstein klang das Geräusch von Hämmern. »Der ganze Ort kommt mir vor wie eine einzige Waffenschmiede«, meinte er.
Am eindrucksvollsten waren die großen, abweisenden Gebäude, aus deren Kaminen unaufhörlich Rauch quoll: Sie enthielten die Hochöfen. Es waren die ersten dieser Art in Rußland. Sie wurden von der holländischen Familie Vinius betrieben, und man hatte sie in Tula wegen der Eisenerzvorkommen in dieser Gegend errichtet.
Außerdem wurde überall im Ort jede Art von Kriegsgerät hergestellt.
»Nur in Moskau werden mehr Waffen produziert«, erklärte Burlaj. »Es heißt, daß die Romanov-Zaren ständig Ausländer einschleusen, weil diese als einzige genau wissen, wie man mit den neuen Maschinen richtig umgeht.«
Geschütze, Musketen, Spieße und Schwerter-Andrej sah Wagenladungen davon. Als Soldat war er durchaus beeindruckt, und doch war ihm dieser große, rauchgeschwärzte Ort unheimlich. Er war froh, als sie schließlich wieder auf dem Weg nach Moskau waren. Obwohl die vorösterliche Fastenzeit bereits begonnen hatte, lag die Stadt Moskau noch unter einem schweren, eintönig grauen Winterhimmel. Der Schnee auf den Straßen war nicht weggeräumt worden, und auch die Dächer waren schneebedeckt. Doch es gab Farbtupfer. Goldene, silberne oder buntbemalte Kirchenkuppeln ragten empor. Auf der Straße begegnete man Edelleuten in weiten, pelzbesetzten Umhängen in Rot oder Blau. Darunter kam vielleicht kostbarer Brokat zum Vorschein. Die Patrouillen der Musketiere, die Strelitzen, liefen in der Zitadelle in roten Mänteln und mit glänzenden Speeren umher. Selbst die einfachen Frauen trugen farbige Tücher um den Kopf geschlungen. Andrej befand sich in einem Zustand glücklicher Erregung. Es war eine großartige Erfahrung für den jungen Kosaken, in der mächtigen Hauptstadt so herzlich empfangen worden zu sein. Als sie ihre Schreiben im Kreml abgegeben hatten, ließen der Zar und die Bojaren durch einen hohen Funktionär wissen, daß man ihnen wohlgesinnt sei. Und auf dem Weg zum Palast des Patriarchen an der Hinkastraße erfuhren sie, daß der Kirchenfürst ihnen in wenigen Tagen eine Privataudienz gewähren werde. Manchmal wanderte Andrej durch die Vorstädte, zwischen dunkelbraunen, soliden Holzhäusern, deren Dächer noch reichlich von Schnee bedeckt waren. Er hatte den Eindruck, an jeder Ecke stehe eine Kirche. Und über der Stadt hing endloses Glockengeläute.
Wahrlich, dies war die Hauptstadt, die nördliche Festung der orthodoxen Kirche. Aber welche Kontraste gab es in Moskau! Andrej hatte schon früher gehört, daß die Bewohner sich der Hurerei ergäben und auch dem Trunk. Tatsächlich sah er viele Betrunkene, die in der Dämmerung hilflos auf den eisigen Straßen lagen. Andererseits gab es auch Massen von Männern und Frauen, die in feierlichem Zug zum Gebet in die Kirchen strömten. Und wie sie beteten! Stundenlang harrten sie stehend aus. Da herrschte ein gemeinschaftlicher Glaubenseifer, dem Andrej in der Ukraine nicht begegnet war.
Außerdem sah er ziemlich viele Ausländer hier, und jeder Fremde trug seine heimatliche Tracht. Einige waren Kaufleute, doch die meisten schienen Soldaten zu sein.
Gegen Ende der ersten Woche seines Aufenthalts schloß Andrej eine neue Freundschaft. Er wollte die Kathedralen des Kreml besichtigen. Als er aus seiner Wohnung auf die Straße trat, eilte ein junges Mädchen so nah an ihm vorbei, daß sie fast zusammengestoßen wären. Sie konnte nicht älter als fünfzehn sein, trug einen langen, rosafarbenen Umhang mit Pelzbesatz, einen hohen, zylinderförmigen Pelzhut; ihre Hände steckten in einem Muff. Sie ist sehr hübsch, dachte er, als ihr junges Gesicht in der beißend kalten Luft leuchtete.
Bevor Andrej seine Gedanken wieder geordnet hatte, war sie verschwunden. Er hatte gerade noch ihren goldblonden Zopf bewundern können, der ihr auf dem Rücken hing. Lächelnd sagte er sich: Wenn meine
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