Russka
polnischen Gefangenen konnten nicht viel berichten. Die Kosaken hatten all ihre Habe genommen und sie in die Wälder geschickt. Während Andrejs Leute ihr Nachtquartier im Fort aufschlugen, fuhr Andrej über den Fluß, um Anna zu besuchen. Er war überrascht, als er das Haus verschlossen und mit Brettern vernagelt fand. Der Nachbar erzählte, daß der alte Mann mit seinen Söhnen ins Kosakenlager gegangen sei.
»Seine Frau lebt bei ihrer Schwester in einem Dorf in der Nähe von Perejaslavl.«
»Und Anna?«
»Anna?« Der Mann war erstaunt. »Was, wißt Ihr das nicht? Der Pole hat sie mitgenommen. Stanislaus. Er kam vorbei, als die Männer gerade gegangen waren. Er hat sie in der Dämmerung entführt.« Andrej konnte es nicht fassen. Zuerst hatte der eingebildete Pole versucht, seinen Hof zu nehmen und seinen Vater zu demütigen. Nun hatte er das Mädchen entführt. »Wohin sind sie gegangen?«
»Wer weiß? Wahrscheinlich sind sie jetzt schon in Polen«, meinte der Mann.
Voll trüber Gedanken kehrte Andrej ins Fort zurück. Ich finde Anna wieder, schwor er sich. Für Stanislaus würde es nur eine einzige Strafe geben.
Wenn etwas seine Gedanken von seinem Verlust ablenken konnte, war es die Geschichte, die seinem Freund widerfahren war. Andrej hatte eine Braut verloren, und Stepan hatte anscheinend eine gefunden. Trotz seines eigenen Schmerzes mußte Andrej fast lachen. »Aber sie ist Jüdin«, gab er zu bedenken, als er mit Stepan am Feuer im Fort saß.
»Sie wird konvertieren«, meinte Stepan. »Hat sie das gesagt?«
»Ich weiß, daß sie es tun wird.«
»Warum wählst du gerade dieses Mädchen?«
»Ich weiß es nicht«, gab Stepan zu. »Du hast sie gesehen, und du meinst, es war Schicksal?«
»Ja. So ist es.«
Stepan war wie betäubt. Selbst wenn sie sich unterhielten, hatten seine Augen einen abwesenden Blick.
»Was wirst du mit ihr machen? Du kannst sie nicht mit in den Kampf nehmen.« Stepan nickte langsam. »Ich weiß. Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Ich suche einen Priester, der uns traut. Dann gehe ich mit ihr zurück nach Hause, an den Don.«
»Du willst mich verlassen?«
»Die Zeit ist gekommen«, erklärte Stepan feierlich. »Sprich lieber erst einmal mit ihr.«
»Ja.« Der riesige Kerl stand langsam auf und ging hinüber, wo das Mädchen saß. Sanft führte er sie ans Feuer und ließ sie neben sich Platz nehmen. Dann sprach er leise auf sie ein. Das Mädchen sagte wenig, betrachtete Stepan mit großen gedankenvollen Augen, warf hier und da ein Wort ein, wie um ihm ein Stichwort zu geben. Da saß diese Fünfzehnjährige, die ein paar Stunden zuvor mit ansehen mußte, wie man ihren Vater zerstückelt hatte, saß da neben einem merkwürdigen Kosaken, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, sie zu heiraten.
Irgendwann schlief Andrej ein, doch einige Male erwachte er in dieser kurzen Sommernacht. Und immer noch saßen Stepan und das Mädchen am kleinen Feuer. Schließlich wurde der Himmel hell. Andrej sah das Mädchen neben dem Feuer stehen. Stepan kramte in seinem Gepäck und sah außergewöhnlich erregt aus, als habe man ihm soeben ein wundervolles Geheimnis verraten. Dann verließen die beiden das Fort Stepan ging wie ein Schlafwandler. Kurz darauf gellte ein Schrei durch den Morgen. Andrej stürzte zum Tor, von wo schon einige Wachen ungläubig zum Fluß hinstarrten. Er sprang an ihnen vorbei und rannte den Pfad hinunter. Stepan stand am Flußufer. In der Hand hielt er eine Pistole. Das Mädchen lag ein paar Schritte von ihm entfernt im Gras – tot. Stepan rührte sich nicht. Selbst als Andrej neben ihm war, blickte er unverwandt auf die Tote hinunter.
Einige Minuten standen sie so im bleichen Morgenlicht; dann ließ Stepan sich die Pistole aus der Hand nehmen, sein Körper sackte zusammen. Langsam gingen die Freunde den Hügel hinauf. Erst als Andrej Stepan ein wenig Wodka eingeflößt hatte, erfuhr er nach und nach, was geschehen war. Während ihres langen nächtlichen Gesprächs hatte das Mädchen den törichten, abergläubischen Kerl offenbar durchschaut. Sie sagte, sie werde ihn heiraten, und gewann damit sein Vertrauen. Er war außer sich vor Freude. Und dann, gegen Ende der Nacht, verriet sie ihm ihr wundervolles Geheimnis: »Es stimmt, daß das Schicksal uns für einander bestimmt hat, Stepan. Ich wußte, daß du kommst, und ich habe auf dich gewartet.« Sie lächelte. »Weißt du, ich habe magische Kräfte.« Sie könne es sogar beweisen, sagte sie. Wenn er mit ihr zu
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