Russka
Arbeit hier getan ist, wird es Zeit, ans Heiraten zu denken. Vielleicht nehme ich eines von diesen hübschen russischen Mädchen mit.
Als er am Palast vorbei in den Kreml ging, blieb er einen Augenblick unter dem Fenster des Terem-Palastes stehen, wo einer der Strelitzen die Bittschriften der Leute entgegennahm. Jeder, selbst der kleinste Bauer, konnte hier ein Schreiben in die dafür vorgesehene Schachtel legen und sicher sein, daß es unverzüglich ins Privatsekretariat des Zaren in dem berühmten goldenen Zimmer gebracht und wahrscheinlich dem Herrscher selbst vorgelesen wurde. Der mächtige Autokrat war wie ein Vater für sein Volk, und ein liebevoller obendrein. Andrej hatte schon allerlei über die Güte des jungen Zaren gehört: daß er die Gefängnisse persönlich besuchte, den armen Burschen Mäntel aus Schaffell schenkte, ihnen die Freiheit gab, indem er ihre Schulden bezahlte.
Andrej wandte sich soeben den Kathedralen zu, als er eine sympathische Stimme hinter sich hörte: »Wenn das nicht mein Freund, der Kosak, ist!«
Als er sich umsah, stand da ein junger Mann in einem Bibermantel und lächelte ihn an. Andrej überlegte einen Moment, dann fiel ihm ein, daß er ihn im Regierungsbüro gesehen hatte, wo sie ihre Schreiben übergeben hatten. Es war der junge Sekretär, der sie begrüßt und zum Hauptsekretär gebracht hatte, der die nötigen Gespräche mit ihnen führte.
Der angenehme junge Mann hatte etwa Andrejs Alter. Seine Haut war elfenbeinfarben, und die breite Stirn wurde von dichten schwarzen Locken gekrönt, die in der Mitte gescheitelt und sorgfältig nach hinten gebürstet waren. Die hohen Backenknochen und die schräg stehenden Augen ließen auf türkische oder Tatarenvorfahren schließen. Er stellte sich als Nikita, Sohn des Ivan Bobrov, vor und machte Andrej einen Vorschlag: »Besucht mich heute in meiner Wohnung. Da plaudert es sich besser.«
Andrej nahm gern an, und sie verabredeten sich für den Nachmittag.
Nikita Bobrovs Wohnung bestand aus drei Räumen im Obergeschoß eines soliden Holzhauses, das einem Kaufmann gehörte. Andrej traf seinen Gastgeber nicht allein an. An einer Seite des Wohnzimmers stand ein Mann in mittleren Jahren in einem dicken Schaffell, am anderen Ende eine plumpe Frau. Das Gesicht der Jüngeren neben ihr konnte Andrej in dem Dämmerlicht nicht erkennen.
Der Mann im Schafspelz war mittelgroß, sein mürrisches, vielleicht einmal blasses Gesicht war fleckig. Er hatte kleine dunkle Augen. Sein Haar war in der Mitte gescheitelt und ging unmittelbar in den wallenden Bart über. Er schien ein kleiner Händler zu sein, und offenbar war er im Augenblick sehr ärgerlich. Nikita entschuldigte sich bei Andrej, um ein paar abschließende Worte an den Mann zu richten: »Wir haben genug geredet, Ivan. Mein Entschluß steht fest. Du siehst doch selbst, daß Elena ein verletztes Bein hat und Maria als Hilfe braucht. Sie kann ja nicht einmal auf den Markt gehen. Du wirst doch nichts dagegen haben, daß deine Frau ihrer Mutter zur Hand geht. Du wirst jetzt allein zurückreisen und nach Ostern mit dem fehlenden Pachtgeld wiederkommen, oder ich lasse dich auspeitschen.« Der Mann warf den beiden Frauen finstere Blicke zu, legte jedoch widerstrebend seine Hand aufs Herz und verneigte sich tief vor Nikita, bevor er den Raum verließ. Andrej glaubte ein leises Lachen von der jüngeren Frau zu vernehmen, doch sogleich verschwanden die beiden Frauen im angrenzenden Zimmer. »Mein Verwalter«, erklärte Nikita lächelnd. »Ein schwieriger Bursche.« Er deutete auf zwei Bänke am Fenster, und sie nahmen Platz. »Ich habe mir nämlich eine Witwe aus meinem Dorf als Haushälterin mitgebracht, um den teueren Lohn für Bedienstete in Moskau zu sparen. Nun habe ich die Familienstreitigkeiten am Hals«, meinte er bedauernd. »Aber laßt uns von etwas anderem sprechen.« Andrej und sein Gastgeber hatten einiges gemeinsam. Nikitas Mutter, die aus Smolensk stammte, war Polin, und ihr verdankte er es, daß er früh schon Lesen und Schreiben und einigermaßen Latein gelernt hatte. Er kannte sogar ein paar Geschichten vom polnischen Hof. Diese Bildungsstufe war in Rußland noch sehr selten. Um so erfreuter war der junge Sekretär, jemanden seines Alters mit ähnlichem Wissen zu begegnen.
»Ihr seid zur rechten Zeit gekommen und habt Eure Schreiben den richtigen Leuten übergeben«, versicherte Nikita. »Der Zar und der Bojar Morozov sind Eure Freunde, und das ist wichtig. Das Volk haßt Morozov,
Weitere Kostenlose Bücher