Russka
Kerle in ihren ausländischen Uniformen verachtete! Und aus Peters kindlichen Soldatenspielen waren nun ernsthafte Kriege geworden. Und sie hatte einmal gedacht, es gebe nichts Schlimmeres als die Herrschaft Sofijas und dieses Golicyn. Die ausländischen Kriege stürzten die beiden ins Verderben. Golicyn wollte sich mit den Polen gut stellen. Gegen einen erneuten Friedensvertrag mit ihnen hatte er ihnen törichterweise seine Hilfe gegen die Türken und ihren Vasallen, den Krim-Khan, zugesagt.
Der Krieg gegen die Tataren in der Steppe wurde ein Katastrophe, und zwar eine kostspielige. Die bedeutenden Staatsmänner hatten sich Peter zugewandt und Sofija und ihren Günstling entmachtet. Sofija wurde ins Kloster, Golicyn ins Exil geschickt. Peter war siebzehn Jahre alt. Obwohl er offiziell immer noch mit Ivan gemeinsam regierte, war es an der Zeit, daß er die Führung übernahm. Kurzfristig hatte Eudokia Hoffnung geschöpft. Der alte Patriarch, der nun endlich Golicyn losgeworden war, war fest entschlossen, Rußland von jeglichen fremden Einflüssen zu befreien. Doch dann starb er, und Peters merkwürdiges Regime nahm seinen Lauf. Während ein kleiner Rat, bestehend aus seiner Mutter und einigen Mitgliedern der Naryschkin-Familie, inoffiziell die Regentschaft übernahm, zeigte der ungehobelte Junge keinerlei Interesse an seinen zukünftigen Aufgaben. Häufig hielt er sich in Preobrazenskoe auf, oder er vertrieb sich die Zeit in ausländischer Gesellschaft in der Deutschen Vorstadt.
Peter hatte die »Fidele Gesellschaft« um sich geschart, eine Freundesgruppe, die ebenso aus einem Dutzend wie aus zweihundert Personen bestehen konnte. Es gab einige Russen darunter, doch die meisten waren Ausländer wie etwa der brillante Schweizer Abenteurer Lefort und der schlaue schottische General Gordon, bereits ein alter Mann. Stein des Anstoßes waren nicht die sich über Tage hinziehenden Trinkgelage – die waren typisch russisch. Auch nicht, daß die Burschen in die Häuser von Kaufleuten und Adligen eindrangen und das Mobiliar zerschlugen, wurde als unverzeihlich angesehen. Die Russen verziehen Peter sogar seine Begeisterung für ausländische Erzeugnisse und sein Studium der mathematischen Grundzüge und der Navigation.
Doch was sollten sie von seinem offenen und beleidigenden Spott gegenüber der Kirche und der Religion halten? In jenen Jahren gründete der junge Zar einen Synod – den von ihm so bezeichneten Trunkenen Synod. Einer der Trinkkumpane, Peters ehemaliger Erzieher, wurde zum Fürstpatriarchen ernannt, was dann in Fürstpapst abgeändert wurde. Mit kirchlichen Insignien ausgestattet, berief Peter einen Trunkenen Synod von Kardinälen, Bischöfen, Äbten und anderen Priestern ein. Und dann wurde unter Verspottung der Liturgie der Trunkene Synod vom Fürstpapst unter der Leitung Peters zu nächtlichen Gelagen geführt. Und man versteckte sich nicht in Räumen, sondern der junge Zar und seine Freunde zogen durch Moskaus Straßen, sogar während der Fastenzeit, und legten es darauf an, die religiösen Gefühle jener Menschen zu verletzen, die Peter regieren sollte. Der Trunkene Synod existierte im übrigen bis zum Tod des Zaren. Dieses merkwürdige Regime dauerte einige Jahre so fort. Weder seine Heirat noch der Tod seiner Mutter änderten Peters Verhalten. Eudokia gewann im Laufe der Zeit den Eindruck, daß der Zar, sofern er überhaupt nüchtern war, nur an zwei Dinge dachte: an Krieg und an Schiffe. Und wenn Prokopios seiner Mutter erklärte, daß Rußland ein Land der Flüsse sei, fiel sie ihm gereizt ins Wort: »Du weißt genau, was ich meine. Es sind diese verdammten Schiffe auf dem Meer. Kein Russe hatte es je nötig, zur See zu fahren.«
»Das stimmt nicht. Das alte Volk der Rus fuhr übers Schwarze Meer nach Konstantinopel. Und genau das machen wir jetzt wieder.«
»Zuerst waren es der Krim-Khan und seine Tataren, jetzt ist es der türkische Sultan, den ihr angreifen wollt«, meinte sie kühl. Peter träumte von Anfang an von Eroberungen. Hatte denn nicht das Land der Rus freien Handel vom Baltikum bis hinunter zum Schwarzen Meer getrieben? Hatten die Rus nicht die Stämme der südlichen Steppe vernichtet, hatten sie nicht eine Siedlung an der Mündung des Don im alten Tmutorokan unterhalten? Hatte es im kaiserlichen Konstantinopel etwa keine Kolonie der Rus gegeben? Doch jetzt waren die reichen baltischen Häfen immer noch in den Händen der Schweden und der Deutschen. Im Süden wurde die Don-Mündung
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