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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Die Naturgesetze gehörten zu den bevorzugten Ideen der Aufklärung.
    »Der Bauer ist ungebildet, aber er ist deshalb nicht weniger ein Mensch als ich. Auch er ist vernünftiger Gedanken fähig. Das ist unsere Hoffnung für die Zukunft.« Bobrov bewegte sich auf vertrautem Terrain.
    »Sie wollen ihm also Erziehung angedeihen lassen?« fragte der General erstaunt. »Warum nicht?«
    Da zuckte es in den Augen des Generals auf. Dieser schlaue Staatsbeamte war zu weit gegangen. »Nun, Alexander Prokofievitsch, wenn der Bauer so vernunftbegabt ist, wie Sie sagen, und eine Erziehung erhält – wer soll dann das Land bestellen? Der Bauer wird frei sein wollen. Er wird die Regierung und er wird die Kaiserin absetzen wollen. Ihr eigenes Gesetz der Vernunft wird Sie davonjagen. Es gäbe ein unvorstellbares Chaos. Wollen Sie das?« Auch der alte Mann seinerseits fühlte sich auf sicherem Grund. Über fünfundneunzig Prozent der Bevölkerung waren Bauern – halbstaatliche Bauern mit einigen unbedeutenden Rechten, und halbprivate Leibeigene, die Leuten wie Bobrov gehörten. In jenem Jahrhundert hatte man ihre Rechte noch weiter eingeschränkt: Sie konnten, wie Vieh, gekauft und verkauft werden. Selbst die aufgeklärte Kaiserin hatte lediglich gewagt, dem Adel zu empfehlen, seine Leibeigenen gut zu behandeln.
    Doch Alexander lächelte leise. Nun galt es den letzten Stoß zu führen. »Gestatten Sie, daß ich Ihnen widerspreche. Die Vernunft, General, zwingt mich nicht, so zu tun, als sei mein Leibeigener ein Tier, dem ich die Menschenrechte abspreche. Vielleicht ist mein Leibeigener noch nicht in der Lage, ein freier Mann zu sein, aber möglicherweise seine Kinder. Die Vernunft zwingt mich nicht zu der Annahme, daß freie Bauern mein Land nicht mehr bearbeiten wollen. Sie sagen, daß ein Bauer mit Erziehung jede Art von Autorität ablehnt und die Kaiserin zu stürzen versucht. Warum aber dienen wir selbst als gebildete Männer mit Freuden einer Autokratie? Weil die Vernunft uns sagt, daß das notwendig ist. Ich behaupte eher, daß die Vernunft uns weise Gesetze gibt und so viel Freiheit, wie für uns gut ist.
    Ich bin froh, daß meine Kaiserin diese Dinge entscheidet und daß sie vernünftigen Menschen gestattet, ohne Zensur darüber zu diskutieren. Ich diene meiner Kaiserin gern, und ich hole mir meine Inspiration vom großen Voltaire, so habe ich nichts zu befürchten.« Genau dies hatte Gräfin Turova hören wollen. Wie die Kaiserin bei ihren Untergebenen, entschied auch sie, was für die viertausend vernünftigen Wesen, die ihr derzeit gehörten, das Beste war, und zweifellos waren sie glücklich darüber, daß ihre Besitzerin so aufgeklärt war.
    Der kleine Kreis applaudierte heftig. Alexander hörte die alte Dame murmeln: »Ach, mein Voltaire.« Der General sagte kein Wort. Wie immer bei diesen Zusammenkünften gehörte der größte Teil des Abends nach der Gladiatorendebatte dem Kartenspiel. Bobrov spielte eine Stunde lang, und er spielte schlecht. Wie hätte er sich auch konzentrieren sollen? So bald wie möglich entschuldigte er sich, stellte sich unauffällig in den Hintergrund und beobachtete die Gräfin. Als sie schließlich aufstand und sich ihm zuwandte, ging er ihr entgegen.
    »Dana Michailovna, darf ich Sie unter vier Augen sprechen? Es handelt sich um eine wichtige Angelegenheit.« Sie warf ihm einen kühlen Blick zu und winkte ihm, ihr ins Vorzimmer zu folgen. Dort setzte sie sich auf ein kleines vergoldetes Sofa, bot ihm jedoch keinen Platz an. »Also, was wünschen Sie, Alexander Prokofievitsch?«
    »Wie Sie vielleicht gehört haben, Dana Michailovna, waren Unterhandlungen mit verschiedenen Persönlichkeiten wegen meiner möglichen Wiederverheiratung im Gange.« Ihr Gesicht blieb unbeweglich. »Als vorbereitende Maßnahme zu diesen Unterhaltungen baten mich natürlich einige Beteiligte um Aufdeckung meiner Vermögensverhältnisse. Es tauchte die Frage auf«, fuhr er vorsichtig fort, »ob ich neben meinen derzeitigen Besitzungen noch Weiteres zu erwarten habe.« Er hielt inne in der Hoffnung, sie möge ihm weiterhelfen.
    Sie blickte auf. »Ich wußte nicht, daß Sie noch etwas erwarten«, sagte sie zuckersüß.
    »Ich nehme an, ich habe nichts zu erwarten, Dana Michailovna, aber ich wagte zu hoffen, daß Sie als meine Verwandte die Möglichkeit in Betracht gezogen haben könnten, mich in Ihrem Testament zu bedenken. Wenn nicht, werde ich mich selbstverständlich danach richten.«
    Die alte Gräfin zeigte

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