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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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versuchte auch, beide gleichermaßen zu lieben, aber Svjatopolk fürchtete er ein wenig. Es hieß, Svjatopolk sei das Abbild seines Vaters. Stimmte das? Während Igors Augen oft einen entrückten Blick hatten, lag in Svjatopolks Gesicht versteckter Ärger, Bitterkeit. Warum war das wohl so?
    Auf Anweisung des Vaters trug Ivanuschka ein langes Leinenhemd über der Hose. Das Hemd wurde von einem Gürtel zusammengehalten. Dazu durfte er seine geliebten grünen Stiefel tragen. Gesicht und Hände waren ihm in der großen Kupferschüssel auf dem Waschtisch gründlich geschrubbt worden. Igor war ähnlich gekleidet, sein Hemd unterschied sich nur durch die feine Stickerei an den Kanten von dem eines Bauern. Ivanuschkas Augen glänzten. Vor lauter Aufregung hatte er nur ein Stück Brot und Haferbrei, die kascha, essen können. Er küßte seine Mutter und die Brüder zum Abschied, und schon fühlte er die kühle, feuchte Morgenluft auf seinen Wangen, als er auf seinem Pony hinaustrabte.
    Ivanuschka blieb respektvoll hinter seinem Vater, der auf seinem besten Pferd, einem Rappen, ritt. Sein kaiserlicher Name hatte im Lauf der Zeit eine leichte Abwandlung ins Slawische erfahren. Das Tier hieß Troyan.
    Die einfachen Leute, an denen Vater und Sohn vorbeiritten, legten die Hand aufs Herz und verneigten sich, denn Igor war ein muts – ein Adliger. Im Fall seiner Ermordung betrug das Blutgeld vierzig silberne grivna, während das Töten eines freien Bauern, eines smerd , nur fünf kostete.
    Selbst die Namen der herrschenden Klasse waren häufig anders. Die Fürsten und einige ihrer wichtigsten Gefolgsleute hatten oft »königliche« Namen, die auf -slav endeten, was »Lobpreis« bedeutete, oder auch auf mir, was »Welt« hieß. So war es, zum Beispiel, bei dem großen Vladimir und seinem Sohn Jaroslav. Bei den Edelleuten waren oft skandinavische Namen wie Rjurik oder Oleg üblich. Ein Bauer dagegen hatte einen einfachen alten slawischen Namen wie Ilja, Schtschek oder Mal.
    Und während der Bauer einfach Ilja oder Mal war, fügte der Edelmann seinem Namen noch den seines Vaters an; so hieß der Junge Ivan Igorevitsch, Sohn des Igor. Die drei Brüder waren die Igore vitschi – die Söhne Igors. Denn Igor war auch ein geachtetes Mitglied der druzina des Fürsten von Kiev. Es gab viele Fürsten im Lande der Rus. Zu jener Zeit waren die bedeutendsten Städte dieses weiten Landes in den Händen der Söhne des letzten Fürsten von Kiev, des mächtigen Jaroslav des Weisen. Seine Söhne hatten eine spezielle Erbfolge eingeführt Der Älteste nahm die größte Stadt, Kiev, die übrigen, je nach Alter, die anderen Städte, wobei jeder dem Ältesten Gehorsam schuldete. Während also Igors Herr der Älteste und somit Großfürst von Kiev war, stand die Stadt Tschernigov unter der Herrschaft seines jüngeren Bruders Svjatoslav; der umsichtige dritte Bruder, Vsevolod, verwaltete das kleinere Perejaslavl im Süden. Im Falle des Todes eines der Brüder folgte ihm nicht sein Sohn, sondern der nächste Bruder, so daß alle jüngeren Brüder nach dieser Rangordnung jeweils in eine größere Stadt aufrückten.
    Igor diente dem Fürsten von Kiev unmittelbar. Tatsächlich stand er dem engeren Rat nahe. Ivanuschkas Brüder waren bereits in der weiteren druzina, wenn auch Boris nur als Page; Ivanuschka fand den Gedanken aufregend, daß er ihnen bald folgen würde. Der Weg führte die beiden Reiter südwärts in das kleine Vorgebirge von Berestovo. Über den Baumwipfeln konnte man in der Ferne den Fluß glitzern sehen, und dahinter, jenseits der Überflutung, dehnten sich die Wälder bis in weite Ferne. Nichts unterbrach die morgendliche Stille außer dem sanften Vogelgezwitscher, als Ivanuschka glücklich hinter seinem Vater auf die weite Anhöhe zwei Meilen südwestlich der Stadt zuritt, wo die Mönche lebten. Igor schwieg, in Gedanken versunken. War es wirklich die richtige Entscheidung? Er hatte nämlich die Idee, Ivanuschka könnte ins Klosterleben eintreten.
    Es war ihm nicht leichtgefallen. Normalerweise wünschte kein Bojar, daß sein Sohn Mönch, nicht einmal Priester würde. Das Leben in Armut war gleichsam ein Makel; und jene von edlem Geblüt, die ein Leben in Frömmigkeit wählten, taten dies fast immer gegen den Wunsch der Familie.
    »Ich sage ja nicht, daß Ivanuschka ein Dummkopf ist«, hatte Igor zu seiner Frau gesagt, »aber er ist ein Träumer. Der Junge soll Mönch werden.« Igor selbst hatte hart gearbeitet, bis er ein Geschäftsmann,

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