Russka
trieften. Doch das schlimmste war der Geruch, der den Mann umwehte. Das kam von dem jahrelangen unterirdischen Leben, ein Geruch nach feuchtem Ton, totem Fleisch und faulendem Laub. »Dies ist Ivanuschka«, hörte er seinen Vater sagen. Er neigte sein Haupt. Das also war Vater Lukas – er konnte es nicht fassen. Am liebsten wäre er fortgelaufen. Hoffentlich rührt er mich nicht an, dachte er. Als er hochblickte, sah er den alten Mann und seinen Vater leise miteinander sprechen. Die Augen des Mönches waren nun scharf und forschend auf ihn gerichtet. Ivanuschka sah, daß sein Vater ihm ein Lächeln zuwarf, das ihm offenbar Sicherheit geben sollte; er sollte wohl einen guten Eindruck machen. Doch wie stets bei solchen Gelegenheiten spürte der Junge, daß etwas in ihm sich verkrampfte, während in seinem Kopf schreckliche Verwirrung entstand. »Gefällt es dir hier?«
Was sollte er darauf sagen? Tränen stiegen ihm in die Augen, und halb im Zorn gegen seinen Vater, halb in dumpfer Enttäuschung platzte er heraus, ohne die beiden anzusehen: »Nein!« Igor richtete sich wütend auf: »Ivan!«
Den Mönch schien die Antwort nicht zu berühren. »Was siehst du hier?« fragte er ruhig.
Ohne zu überlegen, antwortete der Junge: »Faule Blätter.« Er hörte, wie sein Vater einen zornigen Laut ausstieß, dann sah er zu seiner Überraschung, wie der Mönch mit seiner knochigen Hand seinen Vater beim Arm nahm: »Der Junge hat nur die Wahrheit gesagt.« Er seufzte. »Er ist noch zu jung für einen solchen Ort.«
»Andere Jungen sind schon hier gewesen«, sagte der Vater ärgerlich.
Der Mönch nickte: »Andere!« Er wandte sich an Ivanuschka. »Nun, Ivan, du möchtest Priester werden?«
Priester? Wie kam der alte Mann auf die Idee? Er würde ein Held, ein Bojar werden. Mit schreckensweiten Augen starrte er den Mönch an.
Vater Lukas wandte sich an Igor. »Bist du dir in dieser Sache ganz sicher, mein Freund?«
»Ich dachte, es sei das beste.« Igors Augenbrauen bildeten eine Linie.
Ivanuschka sah zu Igor auf. Trotz seiner Verwirrung wurde ihm allmählich klar: Sein Vater meinte offenbar, er solle Priester werden, er hielt ihn also nicht für würdig, ein Bojar zu sein. Sein Vater hatte ihn hintergangen. Er hatte ihm nie etwas über seine wahren Pläne erzählt – sonst hätte er sich ihm widersetzt. »Wir in diesem Kloster«, sagte Vater Lukas nun leise, »leben nach der weisen Regel, die Abt Theodosius uns auferlegt hat. Unsere Mönche verbringen viel Zeit in der Kapelle mit Singen und Beten, aber sie wenden sich auch sinnvollen Aufgaben zu wie der Pflege der Kranken. Andere folgen einer strengen Kasteiung und bleiben in völliger Abgeschiedenheit in ihren Zellen oder Höhlen, und das für lange Zeit. Doch das bleibt der Entscheidung jedes einzelnen überlassen.«
»Es ist eine heilige Entscheidung«, sagte Igor voller Ehrfurcht und Hochachtung.
»Nicht von allen«, wandte Vater Lukas ein. »Das Leben eines Mönches ist eine stetig stärker werdende Hinwendung zu Gott. In diesem Prozeß verliert das Fleisch an Bedeutung, doch der Geist wird gespeist und wächst durch die Vereinigung mit Gott.« Er hustete, trocken und krächzend. »Und so stirbt der Körper, damit die Seele lebe.«
Ivanuschka wußte, daß einige Mönche ihre Särge bei sich in ihren Zellen stehen hatten, in dieser langen Vorbereitung auf den Tod. Er sah, daß Vater Lukas ihn beobachtete, aber er konnte seine Enttäuschung nicht verbergen.
»Und doch ist es nicht Tod«, fuhr der Alte fort, »denn Christus hat den Tod überwunden. Das Gras verdorrt, aber das Wort des Herrn nicht. So leben selbst in unserer sterblichen Verfassung unsere Seelen in der Welt des Geistes, demütig vor Gott.« Dies war für Ivanuschka alles andere als tröstlich. Während der Mönch den Jungen weiterhin aufmerksam betrachtete, fuhr er fort: »Diese Extreme sind nur für einige möglich. Die meisten Mönche führen ein einfaches Leben, dem Dienst an Gott und dem Nächsten geweiht.« Auch darin sah Ivanuschka keinen Trost. »Möchtest du Gott dienen?« fragte der alte Mann plötzlich. »O ja!« Das Kind war den Tränen nahe. Der Gedanke hatte ihn immer schon fasziniert. Mit aufrechtem mutigen Herzen sah er sich im Dienste Gottes durch das wogende Gras der Steppe reiten, im Kampf gegen die heidnischen Reiter.
Der alte Mann brummte vor sich hin. »Er ist jung. Er liebt seinen Körper.« Das war offenbar sein letztes Wort. Er wandte sich von Ivanuschka ab.
»Du glaubst
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