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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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stellten eine ständige Herausforderung dar. Vom ersten Kuß an hatte sie auf einem langen Weg das zarte Pflänzchen seines Vertrauens, seine Zuneigung gehegt und gepflegt. Was war nun das Resultat all dieser Anstrengungen – war es Liebe, war es Zuneigung? Auf jeden Fall empfand Natalia so etwas wie Besitzerstolz. Er gehört mir, dachte sie. Für Grigorij sah die Sache ein wenig anders aus: Allmählich hatten die unschuldigen Umarmungen für ihn etwas Erregendes bekommen. Als er mehr Zutrauen faßte, wollte er Natalias Körper näher kennenlernen und sie besitzen. Da sie ihn jedoch nur bis zu einem bestimmten Punkt gehen ließ, wurde ihm deutlich, daß sich nur durch Heirat mit ihr diese neue Wunderwelt öffnen würde. Nun gut, dann heiraten wir eben, dachte er. Sobald wir verheiratet sind, schlage ich sie erst einmal richtig, dann bin ich Herr im Haus. Es war das einzige, was er über die Ehe wußte.
    Eines schönen Abends teilte Natalia ihren Eltern die gute Nachricht mit. Nachdem Grigorij ihr den Antrag gemacht hatte, fühlte sie sich so erfolgreich, daß sie nicht damit rechnete, ihre Eltern könnten nicht einverstanden sein. Deshalb war die Reaktion des Vaters eine große Enttäuschung.
    »Niemals!« schrie er und war sehr blaß geworden.
    »Aber wieso denn nicht?« stammelte sie erschrocken.
    »Wieso? Weil er ein Habenichts, ein Fabrikarbeiter ist, deshalb! Er hat kein Stückchen Land. Er hat kein Pferd. Er hat nichts als die Kleider am Leib. Wie, zum Teufel, kannst du erwarten, daß ich einen solchen Schwiegersohn akzeptiere?« Er schlug mit der Faust auf den Tisch. Dann wandte er sich an seine Frau: »Varja, Varja! Zuerst das Kind, dann läuft mein Sohn davon, und nun dieses.« Er vergrub das Gesicht in den Händen.
    Natalia blickte ihre Mutter an, die ebenfalls ganz blaß war. Sie schüttelte den Kopf und sagte: »Aber er könnte uns helfen.« Sie hatte blitzschnell einen Plan entworfen, nach dem Grigorij bei ihnen leben und seinen Lohn abliefern sollte.
    Nach einer kurzen Denkpause brummte Timofej: »Ja, und dann bekommt sie selbst einen Balg, und wo bleiben wir?«
    »Stimmt. Es wäre besser, du hättest dein eigenes Haus, Natalia. Es gibt junge Männer im Dorf, die dich heiraten würden, das weißt du«, lenkte Varja ein.
    »Du darfst diesen Jungen nie wiedersehen«, unterbrach Timofej.
    »Ich sollte dich aus dieser verfluchten Fabrik nehmen, aber…«
    Nein, das konnte er sich nicht leisten.
    »Es ist doch so«, meinte Natalia leise, »daß ich nach eurem Willen überhaupt nicht heiraten soll, weil ihr meine Unterstützung braucht. Ihr redet davon, daß ihr einen Bauern mit Land für mich finden wollt – ihr könnt mir keine Mitgift geben, wer also soll mich haben wollen? Die Jungen im Ort können unter vielen Mädchen wählen. Aber ich werde heiraten, ob es euch gefällt oder nicht, und Grigorij ist meine einzige Chance.« Sie wandte sich zum Gehen.
    »Du bist erst fünfzehn. Ich kann meine Einwilligung verweigern«, schrie Timofej hinter ihr her.
    Natalia verließ das Dorf, und als sie ans Flußufer kam, begann sie zu weinen.
    Popov stellte fest, daß es einfach war, seinen Geschäften ungestört nachzugehen. Mit Hut und Zeichenblock als Maler getarnt, erregte er keinerlei Argwohn. Selbst der alte Sawa Suvorin hatte ihm, als er ihm in der Nähe der Baumwollspinnerei begegnete, lediglich einen kühlen Blick zugeworfen.
    Grigorij war eine großartige Entdeckung. Der Bursche war intelligent, wendig – und vor allem verbittert. Außerdem konnte er gut abwägen, fand Popov. Er würde nichts übereilen, so wie Nikolaj Bobrov oder Peter Suvorin. Und wenn es nötig wäre, würde er sogar töten. Popov hatte den Eindruck, daß auf Grigorij eine besondere, wenn nicht sogar große Zukunft wartete.
    Natalia schien ihm auch nicht übel. Sie war ebenfalls rebellisch, hatte ihren eigenen Kopf. Anscheinend war sie fest entschlossen, den jungen Grigorij zu heiraten. Ein gutes Gespann, dachte Popov.
    Am Tag nach Natalias Streit mit den Eltern trafen sich die drei in dem Lagerhaus, wo die Druckerpresse versteckt war. Popov erzählte ihnen in vertraulichem Ton: »Ich habe eine Nachricht von Bobrov für euch. Er ist beeindruckt von dem, was er über euch hört, und er möchte euch einen Auftrag erteilen. Es gibt in Russka noch jemanden, der Verbindung zum Zentralkomitee hat. Morgen wird er euch Flugblätter geben, die ihr wohlüberlegt verteilen sollt, und zwar an vertrauenswürdige Leute in den Fabriken und im Dorf.«

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