Russka
während die drei Männer ihn beobachteten. Er war fünfzig Jahre alt, eher von zarter Statur, mit schmalen, feinen Zügen und großen Augen, wie die von Rosa. Sie sah voller Schrecken, daß ihr Vater ebenso große Furcht hatte wie sie. Was sollten sie nur tun? Sich ins Haus zurückziehen? Zwei Männer wollten sich ihnen in den Weg stellen. Die Gruppe kam auf der Straße näher. Rosa bemerkte, wie ihre Mutter aus dem Haus und auf sie zukam. Sie achtete nicht auf ihren Mann, der sie zurückwinkte. Wenn nur die Brüder da wären, dachte Rosa, aber sie waren diesen Monat beide in Kiev. Hilflos standen die drei da und warteten ab. Die Männer bildeten einen Kreis um die kleine Familie. Manche sahen völlig ungerührt drein, andere hatten den Ausdruck blöden Triumphs auf ihren Gesichtern. Nach einem kurzen Schweigen fragte der Vater: »Was wollt ihr?«
Einer, ein gewaltiger Bauer mit braunem Bart, antwortete: »Nicht viel, Jude. Wir brennen nur dein Haus nieder.«
»Und geben ihm eine Tracht Prügel«, schrie ein anderer. Rosa, sah, wie ihr Vater zitterte, jedoch versuchte, ruhig zu erscheinen. »Und was habe ich euch getan?«
»Eine Menge!« schrien einige. »Was hast du Rußland angetan, Jude?« rief einer. »Verdammte jüdische Schieber!« schrie der nächste. »Wucherer!« Da bahnte sich plötzlich ein kleiner alter Mann mit kahlem Schädel und weißem Bart den Weg durch die Menge und grölte: »Du kannst uns nicht zum Narren halten, Jude. Wir wissen, wer du bist: Du bist ein ausländischer Verräter, ein Zarenmörder. Du bist ein Revolutionär!« Es folgte zustimmendes Gebrüll. Sie wußte über die jüdischen Revolutionäre Bescheid. Einige Jahre zuvor hatten sich ein paar radikale Studenten aus jüdischen Familien jener Bewegung angeschlossen, die in dem berühmten »Gang ins Volk« im Jahre 1874 versucht hatte, den Bauern auf dem Land die Revolution zu bringen. Dies waren die radikalsten Juden, entschlossen, sich dem nichtjüdischen russischen Leben zu assimilieren. Viele waren – Ironie des Schicksals – nicht aus religiöser Überzeugung, sondern um der Landbevölkerung, die sie beeinflussen wollten, näherzustehen, tatsächlich zum orthodoxen Glauben übergetreten. Genau diese jungen Leute wurden von Rosas Vater und den meisten konservativen Juden am meisten verachtet. »Wir sollten immer dem Gesetz folgen und den Zaren unterstützen«, war seine Ansicht. »Er ist immer noch unsere größte Hoffnung.« Tatsächlich hatte der Zar mit seinen Reformen bis zu seinem schrecklichen Ende einige Beschränkungen, die den Juden auferlegt waren, in seinem Reich gelockert.
Die umstehenden Männer hatten in der Woche davor bereits einige jüdische Häuser in Perejaslavl niedergebrannt, und nun zogen sie durch die umliegenden Orte und suchten nach neuer Unterhaltung.
»Es ist Zeit anzufangen«, schrie jemand. Der große Mann mit dem braunen Bart ging in Begleitung des kleinen Alten auf Rosas Vater zu. In diesem Augenblick kam der Wagen, in dem Taras Karpenko und sein Sohn saßen, ratternd die Straße herauf. Die beiden Kosaken sahen sofort, daß etwas vor sich ging. »Gott sei Dank«, hörte Rosa ihre Mutter flüstern, »er kann uns retten.«
Der Kosak hatte keine Eile. Er fuhr den Wagen gemächlich heran, und die Männer wichen zur Seite, um ihn durchzulassen. Als er den Kreis um die kleine Familie erreichte, hielt er an und blickte fragend auf den braunbärtigen Kerl hinunter. »Guten Tag«, sagte er aufgeräumt, »was tut sich hier?«
Der Bauer sah den Kosaken an und zuckte die Achseln. »Nicht viel; der Jude kriegt nur seine Lektion.«
Karpenko nickte nachdenklich. »Er ist kein schlechter Bursche«, bemerkte er ruhig.
»Er ist immerhin Jude«, wandte ein Bauer ein. »Das stimmt. Was habt ihr vor?«
»Sein Haus niederzubrennen und ihm eine Tracht Prügel zu verabreichen.«
Karpenko blickte Rosas Vater traurig an. »Ich fürchte, mein Freund, es wird Ihnen ziemlich dreckig gehen.«
Rosa starrte ihn ungläubig an. Der Freund ihres Vaters wollte ihnen nicht helfen? Sie sah, wie der die Zügel aufnahm, das Pferd wendete und davonfuhr.
»Vater!« Das war der junge Ivan. Er stand leichenblaß und zitterte an allen Gliedern. »Vater! Das können wir nicht tun!« Taras hielt den Wagen an. Langsam, eher unwillig, wandte er sich an den Braunbärtigen. »Sie kommen mit uns«, erklärte er barsch. »Wir sind fünfzig, Kosak«, schrie der kleine Alte. »Sie können nichts gegen uns machen.«
Doch Karpenko schüttelte
Weitere Kostenlose Bücher