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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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übte während seiner Freizeit fast ununterbrochen.
    Und bereitete sich auf die Revolution vor. Darüber gab es im Hause von Professor Peter Suvorin keinerlei Frage. Sie alle arbeiteten dafür. Zwei Jahre zuvor blieben sie oftmals die Nächte über auf, und Rosa tippte revolutionäre Artikel; Dimitrij hatte sie dann an die verschiedenen Verteilungsstellen zu bringen. Er fand es aufregend, an der großen Sache mithelfen zu können. Nun war sein Vater Mitglied der Duma und war nach St. Petersburg gefahren. Es war ein wichtiger Schritt gewesen. Nachdem die Sozialisten die erste Duma boykottiert hatten, beschlossen sie, an der zweiten teilzunehmen. »Wenn wir genügend Sozialisten dazubekommen, können wir dieser Farce ein für allemal ein Ende machen«, erklärte Peter. »Wir benutzen die eigene Duma des Zaren, um ihn zu beseitigen.«
    »Und dann?«
    »Dann gibt es eine Konstituierende Versammlung, die vom ganzen Volk gewählt wird. Eine demokratische Regierung. Alle Sozialisten sind sich darüber einig.«
    Freiheit. Demokratie. Die neue Welt nahm ihren Anfang. Und sein Vater, der bekannte Professor Suvorin, war ein Teil davon. Das Leben war wunderbar. Und trotzdem gab es Dinge, die er nicht verstand. Warum, zum Beispiel, war sein Onkel Vladimir so reich, während sie selbst so einfach lebten?
    »Dein Vater hat an alldem kein Interesse«, hatte ihm seine Mutter mit einer wegwerfenden Geste erklärt. Doch mit den Jahren genügte ihm diese Erklärung nicht mehr. Obwohl er und Nadeschda wie Bruder und Schwester waren, standen sich ihre Eltern nicht nahe. »Wenn es nach deinem Vater ginge«, hatte das kleine Mädchen einmal bemerkt, »würdet ihr uns alle auf die Straße setzen, sagt Mama.« Dann fuhr sie mit entwaffnender Unschuld fort: »Wenn das passiert, Dimitrij, kann ich dann kommen und bei dir wohnen?« Das versprach er sofort.
    Und da war noch seine Mutter. Warum machte sie sich immer so viele Sorgen? Als sein Vater nach St. Petersburg aufbrach, hatte Onkel Vladimir angeboten, Dimitrij zu sich zu nehmen, damit Rosa Peter begleiten könnte. Sie hatte abgelehnt, doch seither hatte sie ständig gejammert: »Glaubst du, daß dein Vater dort sicher ist? Bestimmt wird ihm etwas zustoßen.«
    Ende März geschah es dann. Peter Suvorin war noch in der Hauptstadt, und Dimitrij kehrte eines Nachmittags auf Umwegen aus der Schule zurück. Plötzlich befand er sich in einer langen, schmalen Straße. Er hatte sie fast zur Hälfte hinter sich, als er die kleine Gruppe sah: vier junge Männer und zwei Jungen, etwa in seinem Alter. Sie kamen aus einem Hof und gingen ein paar Meter neben ihm her. Da sagte einer der Männer: »Ich glaube, er ist einer. He, du, wie heißt du?«
    »Dimitrij Petrovitsch. Suvorin«, fügte er hinzu, so fest er konnte. »Gute russische Namen, junger Herr Suvorin, aber schaut euch doch mal seine Nase an.«
    »Stimmt. Wir mögen deine Nase nicht, Dimitrij Petrovitsch.«
    »Dimitrij Petrovitsch, weißt du genau, daß du kein Jude bist?«
    »Ganz genau«, antwortete Dimitrij, während sie weitergingen. »Wie heißt deine Mutter?«
    »Rosa Abramovitsch.«
    »Aha. Woher kommt sie?«
    »Aus Wilna.«
    »Eine Rosa Abramovitsch aus Wilna. Dann ist deine Mutter eine Jüdin.«
    »Das ist sie nicht«, entgegnete er heftig. »Sie ist Christin.« Angesichts des echten Zorns des Jungen zögerte die Bande. Da machte Dimitrij einen Fehler. »Rührt mich nicht an«, schrie er wütend. »Mein Vater ist Abgeordneter in der Duma, und ihr bekommt Ärger.«
    »Welche Partei?«
    »Sozialdemokraten«, sagte er stolz; doch sogleich erkannte er seinen Fehler. Er hatte natürlich von den Schwarzen Hundertschaften gehört, diesen rechtsgerichteten Mörderbanden, die Sozialisten und Juden im Namen des Zaren zusammenschlugen. »Jid! Sozialist! Verräter!«
    Der kleine Kerl ging auf der Stelle zu Boden. Man hatte ihm ein blaues Auge und mehrere Tritte in die Rippen verpaßt, als ein Wagen in die Straße einfuhr und die Angreifer flüchteten. Eine halbe Stunde später war Dimitrij zu Hause, und obwohl er ziemlich durcheinander war, setzte er sich an den Abendbrottisch. »Sie haben gesagt, du seist Jüdin«, erzählte er seiner Mutter und war höchst überrascht, als sie das bestätigte. »Ich bin übergetreten, als ich heiratete.«
    Von diesem Tag an schien ihre Unruhe noch zu wachsen. Was diese Ereignisse auch für seine Mutter bedeuten mochten – Dimitrij ließ sich davon nicht beeindrucken. Sein musikalisches Talent half ihm dabei.

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