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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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das bei ihr der Fall? Er glaubte es nicht. Unglücklich war sie vielleicht, aber nicht gelangweilt.
    An der Intelligenz von Frau Suvorin war nicht zu zweifeln. Obwohl er in letzter Zeit erfahren hatte, daß die Behörden ihn verhaften wollten, war es Popov gelungen, in den beiden vergangenen Jahren heimlich in ihr Haus zu gelangen. Jedesmal hatte sie ihn genau nach seinen Überzeugungen gefragt. Obwohl sie es ablehnte, irgend etwas von Marx zu lesen, hatte Popov den Eindruck, sie sei wirklich interessiert an dem, was er ihr berichtete. Es wurde außerdem deutlich, daß sie persönliches Interesse an ihm, Popov, zeigte. Warum aber? Anfangs kam Popov der Gedanke, Suvorin könnte untreu sein. Falls seine Frau sich jedoch mit einer eigenen Affäre an ihm rächen wollte, hatte sie doch wohl eine Menge ihresgleichen zur Auswahl! Außer natürlich, sie begehrte ihn, weil er die Revolution repräsentierte, die die Welt ihres Gatten zerstören würde. Das wäre freilich eine besondere Art von Affront. Im Haus herrschte Stille. Sie hatte die Dienerschaft längst zu Bett geschickt. Vladimir wurde erst gegen Ende des Monats in Moskau zurückerwartet. Sie saß in einem blaßblauen Neglige auf einem niedrigen Stuhl vor dem glimmenden Feuer. »Sagen Sie mir«, fragte sie langsam, »warum Sie hierherkommen.« Popov ließ sich Zeit mit der Antwort. Es gab natürlich gute Gründe dafür. Zuerst einmal fehlte es der Bolschevikischen Partei an Geld. Ob er von der Frau des Industriellen Geld bekommen konnte, wußte er nicht, aber es lohnte sich, die Lage zu sondieren. Es steckte jedoch noch mehr dahinter. Popov war wirklich geschmeichelt, daß diese stolze, kluge Frau sich zu ihm hingezogen fühlte, und er mußte zugeben, daß er etwas für sie empfand. Er überlegte tatsächlich, ob sie verschont werden könnte. »Ich finde Sie interessant«, sagte er schließlich. Sie lächelte. »Sie sind einfach neugierig?«
    »Warum nicht?« Natürlich war er neugierig. Suvorin beeindruckte ihn. Der war kein Schwächling wie ein Bobrov, den man einfach beiseite schieben konnte. Suvorin war mächtig und intelligent. Als er im Hause Suvorin eingeführt wurde, spürte er auch, daß hier etwas repräsentiert wurde, das er in seinem bisherigen Leben vermißt hatte. Denn obwohl er auf Reisen gewesen war, Geschichte und Betriebswirtschaft studiert hatte, fehlte ihm das Interesse an der Kunst. In Frau Suvorins Gegenwart mußte er oft seine Unkenntnis zugeben. Er ließ sich von ihr zu den modernen Gemälden ihres Gatten führen und hörte fasziniert ihren Erklärungen zu. An diesem Abend jedoch musterte sie ihn nachdenklich. »Sagen Sie mir«, meinte sie, »wenn Sie mit Bestimmtheit wüßten, daß es für mindestens hundert Jahre keine Revolution gäbe – was würden Sie tun?«
    »Ich glaube tatsächlich, daß Stolypin sich durchsetzen könnte«, räumte er ein. »Ebenso Lenin. Vielleicht findet die Revolution während meines Lebens nicht statt. Wahrscheinlich ist es so«, erklärte er offen, »daß ich immer schon ein Revolutionär war und nicht wüßte, was ich sonst sein sollte. Es ist ein Beruf wie jeder andere.«
    »Letzten Endes denken Sie doch, daß dies hier alles verschwinden muß«, wandte sie ein, indem sie auf das kostbare Mobiliar deutete.
    »Selbstverständlich. Es gibt keinen Platz für derartige Privilegien. Alle Menschen werden gleich sein.«
    »Und wenn wir eine Revolution haben, vernichten Sie die Kapitalisten und ihre Anhänger erbarmungslos.«
    »Ja.«
    »Dann sagen Sie mir eines«, fuhr sie fort. »Wenn die Revolution tatsächlich bald beginnt und ich mich ihr zu widersetzen gedenke – würden Sie mich ebenfalls töten?«
    »Ich nehme nicht an, daß das notwendig wird«, antwortete er. »Ich glaube, man könnte Sie verschonen.« Sie ist wie ein Vogel im Käfig, dachte er, gefangen in diesem überdimensionalen Haus und in ihrer bürgerlichen Welt; und doch noch ein freier Geist.
    »Das ist wohl ein Kompliment«, lächelte sie.
    »Ja.«
    Einige Minuten lang saßen sie schweigend da. Da zischte plötzlich das Feuer im Kamin, und Funken stoben hoch. Das bißchen Glut, das herausflog, hätte ohne weiteres auf den Boden fallen und dort verglühen können, doch zufällig blieb es am Saum von Frau Suvorins Neglige liegen und züngelte sogleich hoch auf. Sie stieß einen kleinen Schrei aus und zerrte an ihrem Neglige, da sprang der Funke auf ihren Schoß. Sie wollte aufstehen und den kleinen Brand austreten, doch Popov sah die Angst in ihrem

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