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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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sagte er ihm: »Du lernst und lernst, Alexander, aber du liegst immer hinter der neuesten Kunstströmung zurück.« Warum haßte Karpenko den Bobrov so sehr? »Er ist der Prototyp der sturen Russen«, behauptete der Ukrainer. Eines Tages jedoch gestand er, daß er Alexanders Interesse an Nadeschda nicht ertrage. Aber was wollte er selbst denn von dem Mädchen? Es wurde immer offenkundiger, daß sie in ihn verliebt war. Und er tat nichts, um ihrer Zuneigung entgegenzukommen. »Dir liegt also wirklich an ihr?« fragte Dimitrij eines Tages auf dem Nachhauseweg. »Ich fühle mich als ihr Beschützer«, antwortete Karpenko geradeheraus. »Ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß sie sich an einen Dummkopf wie Bobrov verschwenden soll.«
    »Aber was ist denn mit dir?«
    Karpenko lachte kurz auf. »Sei nicht albern! Ich bin ein armer Ukrainer.«
    »Onkel Vladimir hat dich gern.«
    »Seine Frau aber nicht.«
    Dimitrij hatte gelegentlich bemerkt, daß Frau Suvorin, wenn sie auch nie darüber sprach, Karpenkos charmanter Art, die ältere Damen gewöhnlich entzückte, mit einer gewissen Arroganz begegnete. »Du hast also nichts dagegen, daß sie dich liebt, nur damit die Sache für Bobrov schlecht ausgeht, nicht wahr?« fragte er. Zu seiner Überraschung stöhnte Karpenko plötzlich leise auf. »Ach, du begreifst einfach gar nichts. Sie ist anders als alle Mädchen der Welt.«
    »Du liebst sie also?«
    »Ja, verdammt, ich liebe sie.«
    »Dann gibt es ja noch Hoffnung«, meinte Dimitrij fröhlich. Doch Karpenko schüttelte den Kopf so mutlos, wie Dimitrij ihn noch nie gesehen hatte. »Nein, es gibt keine Hoffnung für mich«, erklärte er.
    An einem Dezemberabend des Jahres 1913 kam die Krise, die seit langem zwischen Nadeschda Suvorin und ihrer Mutter schwelte, endlich zum Ausbruch. Der Funke, der die Flamme entfachte, war die Tatsache, daß Frau Suvorin ihre Tochter vor Karpenko warnte. Was denn nicht in Ordnung mit ihm sei, wollte Nadeschda wissen. War er zu arm? Hatte ihre Mutter gesellschaftliche Ambitionen? Frau Suvorin wies diesen Verdacht weit von sich. »Offen gesagt – es ist sein Charakter. Um ehrlich zu sein, ich glaube, er spielt mit dir. Verliere dein Herz nicht an ihn!« Mehr wollte sie nicht sagen.
    Nadeschda war entschlossen, ihre Mutter zu hassen. Sie war in Karpenko verliebt. Sie hatte ihn schon als Kind bewundert, aber nun, in der Glut des Heranreifens, durchlitt sie all die Sehnsüchte der ersten Liebe. Sie hätte ihrer Mutter vielleicht die scharfe Kritik verziehen, wäre da nicht etwas anderes gewesen. Ein Jahr zuvor war sie dem Verhältnis mit Popov auf die Spur gekommen. Sie war einmal spätnachts aufgewacht, und als sie den Flur entlangging, hörte sie ein leises Geräusch in der Diele. Zu ihrer Überraschung sah sie ihre Mutter zur Eingangstür huschen, wo sie einen Fremden einließ. Nadeschda duckte sich auf der Galerie zusammen und sah, wie die beiden die Treppe hinaufgingen. Ihre Mutter und der Rotschopf Popov. Eine Zeitlang konnte sie es nicht fassen. Ihre Mutter und dieser Sozialist? Neben dem Ekel, den sie empfand, dachte sie: Wie kann sie dem armen Papa so etwas antun? Und trotzdem läßt er sie gewähren. Er ist ein Heiliger. Und seither betrachtete Nadeschda ihre Mutter als heimliche Feindin, auch wenn sie nicht darüber sprach. Das Unglück wollte es, daß an ebendiesem Abend, als Frau Suvorin die Bemerkung über Karpenko gemacht hatte, Popov beschlossen hatte, wieder einen Besuch zu machen. Hätte Nadeschda über Popovs Absicht in jener Nacht Bescheid gewußt, wäre sie wohl noch erstaunter gewesen. Vielleicht sogar mehr noch als Frau Suvorin, als sie sie hörte. »Würdest du mit mir weglaufen?« fragte er einfach. In seinen jüngeren Jahren wäre diese Vorstellung undenkbar gewesen, jetzt aber überlegte er, ob er aufgeben solle. Einige Jahre zuvor hatte er gehofft, den Suvorins Geld für das bolschevikische Anliegen zu entlocken. Nach allem, was er wußte, wäre es vielleicht sogar gelungen. Und doch kam es nicht dazu. Die Partei brauchte, weiß Gott, Geld. Vor kurzem war eine neue bolschevikische Zeitung mit Artikeln eines merkwürdigen jungen Burschen aus Georgien erschienen, dessen Stil an den liturgischen Gesang eines Priesters erinnerte. Er nannte sich ganz im Stil der Revolutionäre »Stalin« – ein Mann aus Stahl. Das ganze Jahr über hatte Popov versucht, Geldmittel für die »Pravda« aufzutreiben, aber er hatte nie Frau Suvorin darauf angesprochen. Mit ihr war es inzwischen

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