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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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deutsche Stahlhelme auftauchen? Oder Rauchwölkchen? Wie sollte Alexander das wissen? Es war sein erster Einsatz, seine erste Begegnung mit dem Krieg.
    Krieg. Mit dem Operationsziel war das russische Oberkommando erfolgreich gewesen. Die direkten Blitzangriffe im Sommer 1914 hatten den Feind überrumpelt. Im Norden waren die russischen Streitkräfte rasch über Polen vorgedrungen und in Ostpreußen auf die Deutschen gestoßen, die sie dadurch zu einem panikartigen Rückzug zwangen. Im Süden war eine russische Armee von der Ukraine aus westlich in österreichisches Territorium gezogen und wurde gerade noch daran gehindert, durch Schlesien nach Deutschland und in Richtung auf Berlin vorzudringen. Allerdings hatten diese Anfangserfolge entsetzliche Opfer gefordert. Beim deutschen Gegenangriff waren die Verluste ungeheuer. Eine Viertelmillion Mann fielen in der Augustoffensive im Norden. Ende 1914 betrugen die Verluste auf der russischen Seite, die Kriegsgefangenen mitgerechnet, 1200000 Mann. Deutschland kämpfte jedoch an zwei Fronten. Sein grandioser Plan hatte versagt. Das russische Reich, das in seinen beiden letzten Kriegen – auf der Krim und gegen Japan – derart gedemütigt worden war, hatte sich nun als eine militärische Macht erwiesen, mit der man rechnen mußte. Zu Beginn des Jahres 1915 konzentrierte Deutschland seine ganze Kraft auf Rußland. Im März war dieses Reich für Frankreich und Großbritannien so wichtig geworden, daß diese Alliierten zögernd einwilligen mußten, Rußland nach Kriegsende nicht weniger als die alte Stadt Konstantinopel zuzugestehen. Im Jahre 1915 begannen die Deutschen allerdings mit ihrem Gegenangriff.
    Alexander Bobrovs Männer waren leider nicht entsprechend ausgerüstet. Während die Großoffensive von 1914 dramatisch gewesen war, zeigte sich die zweite Runde, im Jahre 1915, von einer ganz anderen Seite. Alexander vergaß nie sein Erstaunen an dem Tag, als Waffen ausgegeben wurden. Als zwanzig seiner Männer Gewehre erhalten hatten, erklärte der diensthabende Offizier, daß es nun genug sei.
    »Was ist denn mit den übrigen?« fragte Alexander. »Die bekommen ihre Gewehre an der Front.«
    »Sie meinen also, daß es dort Waffenlager gibt?«
    »Sie kriegen Gewehre von ihren Kameraden, von denen, die gefallen sind«, erklärte der Offizier. Bald darauf erfuhr Alexander, daß in einigen Regimentern in diesem Abschnitt fünfundzwanzig Prozent der Soldaten unbewaffnet losgeschickt wurden. Irgendwie war es ihm gelungen, für seine Leute Gewehre zu erbetteln oder zu stehlen, aber er wußte von einer Einheit, in der die Hälfte der Männer mit Mistgabeln ausgerüstet wurden, und er hatte gehört, daß eine Kompanie im Süden dem Feind mit den bloßen Fäusten entgegenzog. Alexander wußte außerdem, daß die Artillerie, die ihnen Feuerschutz gab, lediglich zwei Schüsse pro Feldgeschütz hatte.
    Da war noch die Sache mit dem Funkgerät. Zwei Tage zuvor war Alexander beim Gefechtsstand der Kompanie, wo dieses Gerät installiert war. Der Hauptmann war eifrig damit beschäftigt, dem Obersten die genaue Beschreibung ihrer Position und Truppenaufstellung durchzugeben. Etwas allerdings gab Bobrov zu denken. »Geben wir alles auf diese Weise durch, Hauptmann?« fragte er. »Was meinen Sie?«
    »Nun ja, Sie benutzen keinen Code. Sie geben alles im Klartext weiter. Was ist, wenn der Feind unsere Funksprüche abfängt? Dann weiß er doch über unsere Dispositionen Bescheid.«
    »Seien Sie nicht albern, Bobrov«, grinste der Hauptmann. »Wir funken auf russisch, Mann. Davon verstehen die Deutschen kein Wort.«
    Das war die übliche Einstellung. Die Funksprüche über die gesamte russische Armee wurden in Klartext durchgegeben, was, wie der deutsche Oberkommandierende später zugab, die Dinge an der Ostfront wesentlich vereinfachte.
    Warum war alles so unzureichend organisiert? Zum Teil kam es daher, das wußte Alexander, daß das Oberkommando von Männern wie dem Hauptmann besetzt war: rückständige Exerzierplatzsoldaten, die moderne Kampfmittel und moderne Methoden kategorisch ablehnten. Der Oberbefehlshaber, General Suchomlinov, war solch ein Mann. Es gab, auch das wußte Alexander, einen Kader von aufstrebenden jungen Offizieren, die unter dieser Obrigkeit litten, doch diese Männer hatten keine Möglichkeit, sich durchzusetzen. Es waren nicht nur die Generäle. In einem Augenblick der Aufrichtigkeit gestand der Hauptmann: »Das Problem ist, daß wir nur Munition für einen kurzen Krieg

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