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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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aus dem Marschland gewinnen, das ihm gehörte, wobei er nach zwei Jahren feststellte, daß die Eisengewinnung mehr kostete, als der Verkaufspreis einbringen würde. Und nun waren all seine Pläne gescheitert. Mit seinem Leumund und dem guten Namen seines Vaters hatte er Kredite von Kaufleuten selbst aus Konstantinopel bekommen. Und so waren die Schulden zu einem Berg angewachsen, von dessen Höhe weder sein Vater noch sein Bruder, noch seine Kinder etwas ahnten. Das waren die Alpträume, die Svjatopolk im Schlaf heimsuchten. Es gibt nur einen Ausweg, sagte er sich. Das Testament Igors war sehr einfach abgefaßt. Sein Reichtum, der zu diesem Zeitpunkt beträchtlich war, sollte zu gleichen Teilen an seine Söhne gehen, die für ihre Mutter bis zu deren Tod zu sorgen hätten. Falls einer der Söhne vor dem Inkrafttreten des Testaments verstarb, würde der andere Sohn beide Anteile erben. Es war das übliche Testament. Svjatopolk kannte in etwa die Höhe von Igors Vermögen. Die Hälfte würde seine Schulden nicht decken können. Doch wenn er das ganze Erbe bekäme, bliebe ihm sogar ein bescheidener Besitz mit der Aussicht auf neuen Reichtum.
    Schtschek war unruhig; er wußte nicht, warum. An jenem Nachmittag waren die Späher mit guten Nachrichten zurückgekehrt. Sie hatten das Winterquartier der Feinde ausgemacht. Der größte Teil der Rumänen war bereits auf die Sommerwiesen gezogen, wo sie gut in Zelten hausen konnten. Das ständige Winterquartier, eine mit einem Wall umgebene Stadt, lag vor ihnen. »Der Ort ist fast leer«, berichteten die Späher. »Es befindet sich nur noch eine kleine Garnison dort.«
    »Wir greifen morgen an«, entschieden die Fürsten. Da gab es glückliche Gesichter im ganzen Lager. Und doch war Schtschek beunruhigt.
    Er hatte schlecht geträumt. Als es Nacht wurde über dem Lager, nahm er den Jungen des Chazaren beiseite. »Bleib bei dem Herrn Ivan«, sagte er, »beschütze ihn wohl.«
    »Heut nacht, meinst du?«
    Schtschek runzelte die Stirn. Was sollte das heißen? »Ja, heut nacht, morgen, immer!«
    War die leere Stadt vielleicht eine Falle, ein Hinterhalt? Er haßte die Rumänen. Vier Jahre zuvor hatten sie seine Frau und eines seiner vier Rinder getötet, aus reiner Mordgier. Das war ein weiterer Grund gewesen, Ivan zu bitten, ihn mitzunehmen. Der Kampf am nächsten Tag dauerte nicht lange. Die Stadt war eine rechteckige Einfriedung mit niedrigen Wällen aus gebrannter Erde und Lehm. Die aufmarschierte Armee mußte ein furchterregender Anblick sein. Die Kumanen erklommen zwar den Wall und kämpften tapfer, doch sie waren machtlos gegen den Pfeilhagel der Rus. Am Nachmittag öffneten sie die Tore, und eine verhandlungsbereite Abordnung brachte Wein und Fisch zum Geschenk. An jenem Abend wurde gefeiert, in der Stadt und auch im Lager, das vor den Wällen aufgeschlagen worden war. Die Rus hatten kaum einen Mann verloren.
    Am Himmel stand ein schmaler Mond, doch er wurde häufig von langen Wolken verdunkelt. Eine leichte Brise bewegte das Schilf, das das Flüßchen säumte. Stille lag über der Steppe. Das ganze Lager schien zu schlafen.
    Die drei kumanischen Gestalten wateten fast lautlos durch das seichte Wasser. Ein gelegentliches leichtes Platschen wurde durch die bewachsenen Ufer gedämpft. Die Männer trugen Schwerter und Dolche; ihre Gesichter waren geschwärzt. Als sie die Stelle erreicht hatten, wo sie an Land gehen wollten, schlüpften sie durch das Schilf und kletterten ans Ufer. Und ihr Kommen wäre unbemerkt geblieben, hätte nicht einer, bekannt für seine Imitationskunst, dummerweise dem Quaken eines Frosches geantwortet.
    Schtschek erstarrte. Er hatte nicht fest geschlafen. Sein Herz begann wie wild zu klopfen. Es gab kein Tier im Wald oder auf der Steppe, dessen Ruf er nicht gekannt hätte. Er konnte die Nachahmung sofort erkennen. Er setzte sich auf und starrte in der Dunkelheit angestrengt zum Schilf hinüber.
    Die drei Männer beobachteten ihn. Ihr Anführer kroch bereits auf dem Bauch durchs Gras und war nur noch ein paar Schritte entfernt. Schtschek stand auf, weckte den Chazarenjungen leise, nahm den Speer in eine Hand und ein langes Messer in die andere und kroch vorsichtig auf das Riedgras zu. Der Junge wollte hinter ihm her, doch Schtschek winkte ihn ungeduldig zurück. »Bleib beim Herrn«, flüsterte er. Dieser Laut weckte Ivanuschka. Er stand auf und sah Schtschek davonkriechen. Sein Gehirn arbeitete rasch. »Schtschek, komm zurück«, zischte er und faßte nach

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