Russka
»Sommer der Großmutter« nennen. Yanka wanderte viel in der Gegend umher, manchmal allein, manchmal auch mit der Frau des Verwalters. Diese zeigte ihr, wo Kräuter zu finden waren und wo heilkräftige Farne wuchsen. In einem Kiefernwäldchen oberhalb des Flusses fanden sie auf moosigem Grund Blaubeeren und Preiselbeeren. Auch sonst war es eine Zeit der Veränderungen: Yanka wurde eine Frau. Eine Zeitlang zeigte ihre Haut Flecken und Pickel, das Haar fühlte sich strähnig an. Da wurde ihr Mund noch schmaler, sie legte die Stirn in Falten und blieb am liebsten zu Hause. Doch nicht lang, und sie hatte auch ihren wundervollen blassen Teint wieder und die lockigen Haare. Und mit ihrem Körper war sie zufrieden. Sie hatte im Sommer zugenommen, und sie hoffte, daß eines Tages ein Mann sich an den sanften Rundungen erfreuen würde.
Als der Winter näher rückte, bemühte sie sich, ihrem Vater ein gemütliches Heim zu schaffen. Sie webte, legte einen Vorrat an Lebensmitteln an, räucherte Fisch und machte sich überall nützlich. Manchmal sagte der Vater bei seiner Heimkehr am Abend: »Was für ein schönes Nest du uns baust, mein Vögelchen.« Er war jetzt besser gelaunt. Die harte Arbeit, das neue Leben waren eine Herausforderung für ihn. Neue Kräfte erwachten in ihm, und Yanka war froh darüber. Wenn sie ihn heimkommen sah, dachte sie: Das ist mein Vater, auf den ich stolz sein kann. Sie hatte keine Augen für einen anderen Mann im Dorf. Das hatte aber seinen Grund. Ihr Vater war nach dem ersten Rundgang nach Hause gekommen, hatte sich gegen den warmen Ofen gelehnt und gerufen: »Hast du ihre Felder gesehen? Sie schlagen darauf herum und brennen sie ab. Mordvinen! Heiden! Sie haben nicht mal einen ordentlichen Pflug.«
»Keinen Pflug?«
Seine Antwort war nur ein verächtliches Schnauben. »Bei diesem Boden nutzt er sowieso nichts.«
Yankas Vater hatte eines der Hauptprobleme entdeckt, Rußlands Geißel durch alle Zeiten hindurch. Das Land im Norden ist sehr karg, der Boden ist ausgelaugt. Es kommt daher, daß das Wasser in diesen Böden nicht schnell genug versickert und wichtige Salze auswäscht, wodurch eine magere, säurehaltige Oberschicht von geringem Nutzungswert entsteht. Dieser Boden heißt im Russischen podzol – wörtlich »Aschenboden«.
Während die tiefschwarze Erde des Südens, der tschernozem, sehr gehaltvoll und landwirtschaftlich nutzbar ist, ist der Boden in der großen R-Schleife, nordwärts bis in die Bereiche des torfigen, mit Wasser vollgesogenen Bodens der Tundra, wenig ertragreicher podzol – die Ursache für die mindere Landwirtschaft Nordrußlands. Diesen Boden bearbeiteten die Bauern im Norden mit dem soka, einem leichten Holzpflug mit einem einfachen Metallstück am Ende, mit dem die unfruchtbare Erde nur an der Oberfläche aufgekratzt wurde. Dieser armselige Pflug auf dieser unergiebigen Erde – darüber hatte Yankas Vater sich empört. Schlimmer war jedoch die Methode, mit der die Bauern ihre Felder bestellten. Anstatt im Wechsel zwei oder drei große Felder abzuernten, wendeten sie immer noch das alte Verfahren des Abholzens und Abbrennens von Waldland an, kultivierten dann den verkohlten Boden einige Jahre lang, ehe sie ein neues Stück Land auf diese Weise bearbeiteten und das alte dem Wildwuchs überließen. Dies war eine althergebrachte Form des Ackerbaus für den Eigenbedarf. »Heiden!« urteilte Sawa über die Dorfbewohner – und damit hatte Yanka jegliches Interesse an ihnen verloren. Wen ich auch einmal heirate – von hier wird er nicht kommen, war ihre Überzeugung.
Bald machte Sawa eine Entdeckung, die ihn erneut in Rage brachte. »Es gibt doch guten Boden, tschernozem. Aber ich darf ihn nicht bearbeiten.«
»Wo?«
»In der Nähe des Dorfes, das sie Sumpfloch nennen. Ich war heute mit diesen verdammten Mordvinen dort.« Denn die Natur oder, genauer gesagt, die sich nach der letzten Eiszeit zurückziehenden Gletscher hatten hier und da in dem Gebiet des sandigen podzol schmale Streifen guten grauen Bodens zurückgelassen. Beispielsweise östlich von Russka. Das Stück war dreigeteilt, das nördlich gelegene gehörte dem Großfürsten selbst. Der Teil nach Osten hin war »Schwarzes Land«, nominell im Besitz des Fürsten von Murom, doch an freie Bauern vergeben. Und das am nächsten liegende kleine Stück gehörte dem Bojaren Milej. Bei Milejs Begegnung mit Yanka und Sawa war davon nicht die Rede gewesen. Ein einzelner Mann und ein Mädchen waren kaum erwünschte
Weitere Kostenlose Bücher