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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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sie hörte Sawa keuchen. »Ja, so ist's gut, meine kleine Frau.« Augenblicke später empfand sie einen heftigen Schmerz, der Vater stöhnte: »Ach, mein Vögelchen, du hast es gewußt. Du hast es immer schon gewußt.«
    Hatte sie es wirklich gewußt? Hatte eine leise Stimme in ihr vorausgesagt, daß sie einmal ein solches Geheimnis mit ihm teilen sollte? Sie wollte weinen, aber sie konnte nicht. Sie konnte ihn nicht einmal hassen. Sie mußte ihn lieben. Er war ja alles, was sie hatte. Einige Tage später geschah es noch einmal, dann wieder und wieder.
    Yanka war über sich selbst erstaunt. Anfangs hatte sie versucht, sich zu widersetzen, aber er war ja viel stärker als sie. Und er tat ihr niemals weh, er hielt einfach ihre Arme so fest, daß sie sie nicht bewegen konnte. Da war Widerstand sinnlos. Und ob sie wollte oder nicht – ihr Körper reagierte auf die Zärtlichkeiten. Sawa nannte sie nicht mehr »kleine Frau«. Er legte auch in der Öffentlichkeit nicht mehr den Arm um sie wie früher. Sie aber sah ihn nun so, wie eine Frau ihren Ehemann sieht. Sie liebte ihn. Auf eine neue Art wurde sie sich der Bewegungen seines Körpers bewußt. Wenn sie seinen angespannten Nacken oder seine ineinander verschränkten Hände sah, tat er ihr leid, aber anders als früher. Während der Wintermonate spann sich ein neues Band zwischen ihnen. Wenn die Tür zu ihrer isba offenstand, waren sie nichts als Vater und Tochter. Falls man im Dorf etwas vermutete – keiner verlor ein Wort darüber.
    Dann trat ein, was sie insgeheim befürchtet hatte: Sie gab sich ihm mehrmals mit Vergnügen hin. Seit langem hatte sie mit keinem Priester gesprochen, aber sie wußte, daß der Teufel sie in seiner Gewalt hatte. Sie hatte nicht nur gesündigt, sie hatte es sogar mit Freuden getan. Sie empfand Abscheu vor sich selbst. Wenn sie allein war, wandte sie sich in ihrem Elend an die traurige Maria auf der Ikone in der Ecke und betete: »Errette mich, Mutter Gottes, von meinen Sünden. Zeige mir den Weg aus dieser Dunkelheit.«
    Milej der Bojar war mißtrauisch und schlau. Und wenn er auch der fürstlichen Familie des kleinen östlichen Territoriums von Murom diente, er hatte doch seine eigenen Gedanken. Er gedachte seine drei Töchter und zwei Söhne reich zu machen. Die bedeutenden Bojaren gingen seit langer Zeit, obwohl sie dem Gesetz nach ihrem Fürsten in allen Fällen zur Verfügung zu stehen hatten, auch eigene Wege. Vor allem in dem größeren Territorium um Rjazan waren sie dafür bekannt. Anders als in Kievs großer Zeit, als jeder Fürst über ausgedehnte Ländereien herrschte, hatten manche von ihnen nur noch kleinere Städte, ihre Kinder und Enkel vielleicht sogar weniger Land als die einflußreichen Bojaren. Dies führte dazu, daß ein Bojar wie Milej seinen Status möglicherweise für höher ansah als den solcher Fürsten. Was die Fürsten in der alten Stadt Murom anlangte, so waren sie seiner Meinung nach Marionetten des Großfürsten, dem nicht zu trauen war. Wo also lagen seine Möglichkeiten? Wie konnte er zu Reichtum gelangen? Milej war nicht entgangen, daß der Tataren-Khan, anders als die russischen Fürsten, seine eigenen Münzen prägte. »Von jetzt ab haben die Tataren ihre Hand auf dem Geldsack«, erklärte er seinen Söhnen. »Sie werden nicht den gesamten Handel ruinieren – warum sollten sie auch –, aber sie stecken die großen Gewinne ein.« Seit der Invasion lag die Provinz darnieder. Wenn auch Milejs Sklaven Waren herstellten, die er verkaufen konnte, wenn er auch aus seinen Dörfern feingewebtes Tuch und zahlreiche Felle erhielt – er sah zu der Zeit keine Möglichkeit zur Expansion. »Wir müssen uns mehr um unser Land kümmern«, beschloß er im Kreis seiner Getreuen.
    Einige Bojaren hatten, wie er wußte, Monate auf ihren Ländereien verbracht. »Weißt du«, sagte einer von ihnen, »es sind zwar keine Silbermünzen, aber wenn einer meiner Bauern mit zwei Sack Getreide, einem riesigen Laib Käse, fünfzig Eiern und einer Wagenladung von Brennholz als Pacht ankommt, erfreut mich dieser Anblick. Wenn ich draußen auf dem Land bin, sehe ich vielleicht auch aus wie ein Bauer, aber ich lebe gut«, lachte er. Daraufhin machte Milej sich ernsthaft Gedanken über Russka.
    Wie groß war sein Grund überhaupt? Das konnte er nur schätzen, denn wie die meisten solcher Dokumente in diesem riesigen, nicht registrierten Land legten die Eigentumsurkunden keine genauen Grenzen fest. Aber im Grunde war Milej nur an dem

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