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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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vor dem Städtchen Moskau, nach Nordwesten. Sie wurden vom Regen überrascht, als sie am Ufer der oberen Wolga eine andere kleine Stadt erreichten, Tver. Dort warteten sie in einem Gasthaus weitere zehn Tage ab. Da setzten die Schneefälle ein.
    Eine Woche später begann der letzte Teil der Reise, nun in einem bequemen Schlitten. Tagelang tobten eisige Winde und Schneestürme, dann wieder glitzerte die nördliche Landschaft in der Novembersonne. Rasch glitt der Schlitten das abfallende Gelände bei Tver hinunter und über die gefrorene Wolga. Die Fahrt ging bald an Flüssen entlang, bald durch dunkle Wälder. Allmählich veränderte sich die Landschaft. Weite Ebenen öffneten sich, durchsetzt von niedrigem Wald und schmalen Getreidefeldern.
    Milej war in bester Stimmung. Er sang die Weise von Sadko, dem Kaufmann aus Novgorod, und lächelte vor sich hin, während sie über das offene Land dahinflogen. Eines Nachmittags deutete er nach vorn. »Der große Herr Novgorod!«
    Von weitem wirkte die Stadt nicht besonders eindrucksvoll, weil die Zitadelle den Fluß nur wenig überragte, doch beim Näherkommen sah Yanka, wie weitläufig das mächtige, am träge dahinfließenden Volchov gelegene Novgorod war. Die Stadtteile zu beiden Seiten des Flusses, von gewaltigen Holzpalisaden umgeben, waren durch eine große Holzbrücke verbunden. Inmitten der westlichen Hälfte erhob sich eine wehrhafte Zitadelle aus dicken, glatten Mauern. Die Reisenden durchquerten von Osten her das östliche Viertel und fuhren über die hohe Brücke.
    Als sie durch ein großes Tor kamen, lag vor ihnen eine majestätische Kathedrale. Sie ließen auch das nördliche Stadtviertel hinter sich und gelangten schließlich an ein großes, aus Holz errichtetes Gasthaus.
    Yanka staunte: Alle Straßen bestanden aus Holzplanken. Die erste Zeit in Novgorod war eine glückliche. Milej war beschäftigt, und wenn sie auch den Status einer Dienerin hatte, durfte sie doch oft hinter ihm gehen, und er machte sie auf die Schönheiten der Stadt aufmerksam.
    Der westliche Teil mit der Zitadelle hieß wegen der Kathedrale »Sophien-Seite«. Er bestand aus drei Stadtvierteln, den »Enden«. Im Norden lag das Ende der Lederverarbeiter, dann kam das Zagorod-Ende, wo die reichen Bojaren ihre Häuser hatten, und schließlich das Ende der Töpfer.
    Neben den schönen Holzhäusern gab es zahlreiche Kirchen aus Holz und auch Dutzende von Steinkirchen.
    Die Straßen waren meist nicht mehr als drei Meter breit, aus großen, der Länge nach gespaltenen Stämmen gefertigt, die mit der flachen Seite nach oben auf darunter liegenden Schwellen befestigt waren. Jede Straße war von soliden Holzwänden in der Art von Palisaden gesäumt.
    Yanka deutete auf ein palastartiges Gebäude aus Holz: »Wohnt hier der Fürst?«
    »Nein. Die Leute in Novgorod wollen nicht, daß der Fürst in der Stadt wohnt. Er muß in seiner eigenen kleinen Festung im Norden leben. Dies ist der Palast des Erzbischofs. In Novgorod regieren der Erzbischof und das vetsche des Volkes. Der Fürst sorgt für die Verteidigung, und das vetsche bestimmt, ob ein Fürst akzeptiert wird oder nicht.«
    Yanka hatte zwar gehört, daß die Stadt Novgorod eine freie Stadt war, aber sie hatte sich nie vorstellen können, daß solche Macht beim Volk liegen könne.
    Von der Zitadelle aus fuhren sie über die Holzbrücke. Unter ihnen lag der vereiste Volchov und vor ihnen das Marktviertel.
    »Hier gibt es zwei Enden«, erklärte Milej, »das slovenische und das der Zimmerleute. Dazwischen liegt der Markt, und da gehen wir jetzt hin.«
    Yanka hatte so etwas nie gesehen. Neben einer imposanten Kirche breitete sich ein riesiges offenes Areal bis ans Flußufer mit den Lagerhäusern hin. Der Platz war schneebedeckt, und trotzdem standen lange Reihen bunter Stände da; Yanka schätzte, es müßten tausend sein.
    Milej hatte Geschäfte zu tätigen, also zog Yanka den ganzen Morgen allein umher. Die Menschen waren von überall gekommen; es waren nicht nur Slawen, sondern Deutsche, Schweden und Händler aus den baltischen Staaten. Ein Mann, der gepökelten Fisch verkaufte, erzählte, daß er in seiner Jugend mit Heringsflotten sogar bis nach England gekommen sei.
    Was es da alles gab! Große Töpfe mit Honig, Salzfässer, Fischtran; Fische im Überfluß, selbst jetzt im Winter: Aal, Hering, Kabeljau, Brasse und Steinbutt. Stapel von Fellen lagen da: Bär, Biber, Fuchs, sogar Zobel. Glänzende Töpfereien und schön verarbeitete Lederwaren. Da gab

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