Russka
Rumänen«, wandte einer ein.
»Nein«, widersprach Milej, »das ist genau der Fehler, den die Hälfte eurer russischen Fürsten macht. Aber die Wahrheit ist nicht weniger wahr, wenn man sie ignoriert. Die Tataren sind nicht wie die Rumänen. Sie haben ein Imperium geschaffen, wie die Welt es noch nicht gesehen hat.«
»Du denkst also«, der junge Kaufmann schien bekümmert, »Fürst Alexander hat recht, und wir sollten uns den Heiden unterwerfen?« Milej sah den jungen Mann mit leisem Spott an. »Ich glaube«, sagte er sehr ruhig, »daß die Tataren die besten Freunde sind, die wir haben. Natürlich hat Alexander recht. Wir haben keine Wahl. Denkt an meine Worte: In ein paar Jahren werden sie über uns alle herrschen. Das ist jedoch nicht der Punkt. Wer führt die Karawanen, mit denen ihr Handel treibt, vom Osten her? Die Tataren. Wer prägt die Münzen, und wer hält die Steppen frei von Rumänen? Die Tataren. Wo finden unsere Söhne gewinnbringenden Kriegsdienst und Beute? Bei den Tataren, genau wie meine Alanen-Vorfahren den Chazaren dienten, ehe der Staat der Rus existierte. Und welche Alternative gibt es? Die Fürsten von Rus? Die Großfürsten, die nie einen Finger gerührt haben, Rjazan oder Murom gegen den Einfall der Tataren zu unterstützen? Die Tataren sind stark, und sie haben größtes Interesse an gewinnbringendem Handel. Also werde ich mit ihnen zusammenarbeiten.«
Yanka erschrak. In diesem Augenblick sah sie ihre sterbende Mutter vor sich und den Tataren, dem ein Ohr fehlte. Und sie erinnerte sich an ihren Bruder, wie er in die abendliche Steppe verschwand. Milej sprach also für die Tataren. Sie als armes slawisches Bauernmädchen hatte das nicht ahnen können. Wie sollte sie auch wissen, daß mehr als tausend Jahre lang die Sarmaten, Chazaren, Vikinger und Türken, die Männer der Steppen, Flüsse und Meere – daß sie alle im russischen Land und seinem Volk nur Mittel für ihre Zwecke gesehen hatten und daß sie die Herrschaft nur des Profits wegen anstrebten. Die Älteren nickten weise.
Ein Glück, daß Yanka völlig unbeachtet in einem Winkel stand und zu betroffen war, um auch nur ein Wort zu äußern. Denn in diesem Augenblick fühlte sie sich durch die Nächte mit Milej mehr befleckt als je durch die Nächte mit ihrem Vater.
Eine Woche später hatte sie zum erstenmal die Vermutung, sie sei schwanger. Sie sagte Milej nichts. Was sollte sie tun? Jeden Tag lief sie durch die Stadt und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen.
Sie suchte nach stillen Plätzen außerhalb der lärmenden Geschäftigkeit, sie ging zu den umliegenden Klöstern, in die fürstlichen Jagdgebiete im Norden der Stadt. So wurde sie sehr vertraut mit der Gegend, doch je besser sie Novgorod kennenlernte, desto weniger gefiel es ihr. Täglich wurde ihr deutlicher, daß hier nichts anderes zählte als Geld. Diese harte, unnachgiebige Welt widerte sie an. Ich gehöre nicht hierher, dachte sie. Ich will hier nicht bleiben.
Aber sie trug das Kind des Bojaren. Was sollte sie nur machen? Er würde sicher für das Kind sorgen, aber was würde aus ihr werden, wo sollte sie denn leben? Würde sie je einen Ehemann bekommen? Wenn auch die verheirateten Frauen in slawischen Dörfern nach einer wüsten Festnacht es mit den Männern trieben, war es doch für jeden Mann eine Schande, festzustellen, daß seine Braut keine Jungfrau mehr war. Eine unverheiratete Frau mit Kind hatte kaum Chancen.
Sie begann Milej zu hassen. Es war sein Kind, und sie trug diese Last gegen ihren Willen.
Im Januar beschloß sie, das Kind abzutreiben. Verzweifelt begab sie sich auf die Suche nach einer Frau, die in solchen Sachen Bescheid wüßte. Schließlich sprach sie eines Nachmittags mit einer alten Frau, die ein hartes Gesicht hatte und eine Warze auf der Hand. Sie verkaufte an einem Stand in der Nähe des Flusses getrocknete Kräuter. Als Yanka ihre Sache vortrug, war die Alte keine Sekunde überrascht. Sie musterte das Mädchen nur kalt mit ihren kleinen braunen Augen.
»Im wievielten Monat?« Yanka gab Auskunft.
»Schön. Aber das kostet dich zwei grivna.« Yanka schluckte. Das war ein kleines Vermögen. »Ist deine Methode auch sicher?«
»Du kriegst kein Kind, und dir passiert nichts.« An diesem Nachmittag verkaufte Yanka den Ballen Seide, den Milej ihr geschenkt hatte, für zwei Rubel.
»Komm heute abend, wenn es dunkel wird«, hatte die Alte gesagt. Als die Sonne hinter dem gefrorenen Sumpfland unterging, folgte Yanka der schlurfenden
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