Russka
versucht, gegen die Tataren zu kämpfen; doch sie schlugen ihn vernichtend und plünderten die Hälfte der Städte im Fürstentum Vladimir-Suzdal.«
Das, was zehn Jahre früher geschehen war, war keineswegs vergessen worden. Was aber wäre, wenn die Russen Hilfe außerhalb suchten?
»Denkt doch nur an diesen einfältigen Fürsten von Galizien«, sagte Milej eindringlich. Der Fürst im Südwesten, der mit dem Papst liebäugelte, hatte noch dümmer taktiert, als Milej es vorausgesagt hatte. Zuerst hatte er eine Krone durch den Primas erhalten. Dann sah er sich nach Verbündeten um. Wer blieb ihm außer den heidnischen litauischen Stämmen im Norden, die in die westlichen Gebiete Rußlands vordrangen, um den deutschen Ordensrittern zu entgehen? Der litauische Führer war der römisch-katholischen Kirche beigetreten und forderte, zusammen mit dem galizischen Fürsten, die Tataren heraus. Und was war das Ergebnis? Die Tataren schlugen die Galizier und zwangen sie, die Litauer anzugreifen. Dann mußte der galizische Fürst alle seine Festungen schleifen lassen. Die katholischen Westmächte taten nichts, wie gewöhnlich, der litauische König wurde wieder Heide. Milej hatte gehört, daß in jenem Sommer das heidnische Litauen seinerseits das inzwischen ziemlich wehrlose Galizien angegriffen habe. »Dieses arme Land ist erledigt. Wenn Alexander je etwas Ähnliches versucht hätte«, sagte Milej immer, »hätten ihm die Tataren die Hälfte seiner Ländereien abgenommen und die Deutschen die andere Hälfte.«
Alexander war weise und handelte geschickt. Es gehörte zur Politik der Tataren, sich nie mit der Kirche anzulegen. Alexander, der den Tataren diente, hatte den Metropoliten Kyrill zu seinem engen Freund gemacht.
»Jetzt hat er jeden Priester und Mönch im ganzen Land auf seiner Seite. Das Volk haßt Alexander, aber in der Kirche hören sie ständig das Loblied auf diesen Nationalhelden. Die Priester nennen ihn jetzt sogar Alexander Nevskij, als habe das Scharmützel, das er als junger Mann mit den Schweden an der Neva hatte, ganz Rußland gerettet.«
Ja, Milej hatte recht behalten: Die Tataren waren die Herren, und es war höchst unklug, die Zusammenarbeit mit ihnen abzulehnen. Er, Milej, arbeitete seit mehr als einem Jahrzehnt mit den Tataren und Alexander Nevskij. Allerdings waren die Dinge kürzlich schwierig geworden. Solange Batu Khan in Sarai regierte, gab es für Milej keine Probleme. Nun aber führte dort ein neuer Khan, ein Moslem, das Ruder.
Dieser Khan unterdrückte die russische Kirche in keiner Weise, doch gestattete er den moslemischen Kaufleuten, das Land von Suzdal gegen Tribut zu vergeben, und diese Leute nützten ihr Vorrecht schamlos aus. Viele der Unglücklichen, die den geforderten Tribut nicht bezahlen konnten, wurden zu Sklaven. In der ganzen Region von Vladimir bis Murom kam es zu Revolten. Diesmal hatte Milej durchaus Verständnis für das Volk. Aber Geschäft war schließlich Geschäft. »Ihr seht zu, daß die Besitzungen von Murom alle Forderungen bezahlen«, wies er seine Söhne an. »Ich kümmere mich um Russka.«
Er befand sich jedoch noch aus einem anderen Grund an diesem Spätjulitag in Russka: Mit etwas Glück würde er heute das größte Geschäft seines Lebens machen. Wenn ihm das gelänge, wollte er sich zur Ruhe setzen. Er wurde schließlich alt. Ungeduldig erwartete Milej den Tataren.
Dieser kam gegen Abend: Ein ruhiger Mann in den besten Jahren. An seiner kostbaren Kleidung – er trug einen Kaftan aus dunkelroter Seide und einen breitkrempigen chinesischen Hut – und dem prächtigen Pferd war er sofort als reicher und bedeutender Mann zu erkennen; trotzdem kam er ohne jede Begleitung, hatte nur einen mongolischen Bogen dabei und hinter sich auf dem Pferd ein Lasso. An seinem Hals hing ein silbernes Kreuz an einer Silberkette: Peter, der Tatar, war Christ.
Das war an sich keineswegs überraschend. Denn der Mongolenstaat hatte keine offizielle Religion. Auf ihrem Vormarsch von der Mongolei über die Eurasische Ebene waren die Mongolen vielen mächtigen Religionen begegnet, vom Buddhismus im Osten über den Islam bis zum Katholizismus im Westen. In Rußland hatte so mancher Tatar den orthodoxen christlichen Glauben angenommen. Es gab auch einen russisch-orthodoxen Bischof in Sarai, und es war allseits bekannt, daß der höchste tatarische Beamte im nördlichen Rostov und seine gesamte Familie Christen waren. Und doch war Milej überrascht gewesen, bei seiner letztjährigen
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