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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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spürte, daß er, obwohl er diese Stadt gern hatte, sich nach den Wäldern seiner Kindheit sehnte.
    »Wir lebten in den Wäldern draußen an der Wolga«, erzählte er und sprach von den Bäumen und Pflanzen seiner Heimat. Dabei trat ein verträumter, abwesender Blick in seine Augen.
    Als sie sich wieder einmal in der Kirche trafen, erlebte Yanka eine große Überraschung. Sie standen vor einer Ikone, auf der Christus mit einem offenen Buch dargestellt war.
    »Richte nicht nach dem Äußeren, sondern richte nach der gerechten Einsicht«, las ihr Begleiter vor. Yanka sah ihn belustigt an. »Lesen kannst du also auch?«
    »Ja, das habe ich hier in Novgorod gelernt.« Ein Mordviner, ein einfacher Finne aus den Wäldern, der lesen konnte!
    In diesem Augenblick faßte Yanka ihren Entschluß. Am Abend sprach sie mit Milej. Zu ihrem Erstaunen lächelte er freundlich. »Jetzt sage mir noch mal den Namen dieses Kaufmanns und wo er wohnt.« Nach einer Pause fragte er: »Du weißt nicht genau, ob der junge Mann dich…?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Aber ich glaube schon.« Am folgenden Morgen schon regelte Milej die Angelegenheit. »Das kostet mich allerdings einen Batzen Geld«, bemerkte er mit schiefem Lächeln.
    Am gleichen Nachmittag fragte Yanka Purgas vor der Kirche: »Willst du mich heiraten? Mein Herr kauft dich frei, wenn du willst.« Er stand wie vom Donner gerührt. »Ich wollte dich schon fragen«, gab er zu, »aber als Sklave fürchtete ich…«
    »Es gibt Bedingungen«, fuhr sie fort. Sie hatte sich alles genau überlegt. Und tatsächlich hatte ihr Milej, wenn auch zögernd, Vorschläge gemacht.
    »Wir wohnen dann in der Nähe meines Heimatdorfes, aber nicht als Bauern eines Bojaren«, fügte sie rasch hinzu. »Wir sind frei. Wir leben auf der Schwarzen Erde und zahlen nur dem Fürsten Tribut.« Yanka wollte in der Nähe ihres Vaters sein. Falls irgend etwas geschähe, wäre wenigstens er da. Aber sie wollte nicht im selben Ort wohnen, und sie wollte auch Milej nicht mehr als Grundherrn haben. »Geht also ins Schwarze Land«, sagte Milej. »Dort gibt es guten Boden – tschernozem – gleich bei Russka. Der Fürst ist froh, wenn er Bauern auf sein Land bekommt.«
    Als Purgas das hörte, lachte er, sehr zur Erleichterung Yankas. Es gab nichts auf der Welt, was ihm lieber gewesen wäre. »Das ist in Ordnung«, meinte er.
    »Da ist noch etwas anderes«, begann sie zögernd, den Blick auf den Boden gerichtet. Er wartete.
    »Einmal, vor sehr langer Zeit…« Sie hielt inne. »Als ich noch ein Kind war… Es war ein Tatar, er kam ins Dorf.« Purgas starrte sie an. Dann zog er sie sanft an sich und küßte sie auf die Stirn.
    Sie fuhren zwei Tage später ab und folgten Milej mit dessen Erlaubnis in einem zweiten Schlitten.
    Als sich ihre Wege trennten und sie Abschied nahmen, steckte Milej Yanka zwei grivna zu. »Tut mir leid wegen des Kindes«, murmelte er. Dann verließ er sie.
    1262
    Milej wartete. Er wartete in Russka auf den Tataren. Das Jahr über war die Lage immer brisanter geworden. Jeden Augenblick fürchtete er eine Explosion.
    An diesem Morgen wäre es fast dazu gekommen. Wäre er nicht dagewesen, so wären die beiden moslemischen Tributeinnehmer jetzt vermutlich tot. Erst als er den Dorfbewohnern gedroht hatte, sie von seinem Land zu vertreiben, hatten sie sich beruhigt. »Es ist fatal, daß die Tributeinnehmer Moslems sind«, seufzte er. Die Tataren hatten den Nordosten genommen. Zwar gestatteten sie den Fürsten, weiterhin zu regieren, doch wurden Volkszählung und Aushebung von Soldaten eingeführt. Niemand konnte etwas dagegen unternehmen.
    Selbst Novgorod mußte sich damit abfinden, daß es besteuert wurde. Fürst Alexander war mit den tatarischen Tributeinnehmern gekommen und hatte geholfen, den Tribut für die Tataren zu erheben. Jeder Widerstand der Bewohner wurde von ihm niedergeschlagen.
    Milej lächelte. Wie schlau Alexander doch war! Er hatte herausgefunden, wie er die Tataren auf seine Seite ziehen konnte, und hatte sie benutzt, um seinen Onkel und seinen Bruder abzuschieben. So war er nun endlich der größte Fürst in allen russischen Landen. Er trug sogar einen orientalischen Helm, den der Tataren-Khan ihm geschenkt hatte. Das russische Volk liebte ihn wohl nicht, doch seine Politik war geschickt und klug. Die Russen allein konnten die Tataren nicht zurückschlagen.
    »Seht doch, was seinem Bruder Andrej passiert ist«, erklärte Milej jenen, die Alexander einen Verräter nannten. »Er hat

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