Russka
Alten auf einem Pfad an den südlichen Stadtrand. Zur Rechten standen Hütten, zur Linken lag der zugefrorene Fluß.
Die Alte führte Yanka zu einer isba am Ende einer Gasse und öffnete eine Seitentür. In dem kleinen Raum befanden sich ein paar Säcke, ein Tisch mit kleinen Töpfen, die seltsam riechende Kräuter enthielten, und eine Bank. Es war kalt.
»Setz dich und warte«, sagte die Frau und verschwand. Sie kam mit einer kleinen Wanne zurück, die sie vor Yanka hinstellte. Dann ging sie wieder hinaus.
Es dauerte einige Zeit, bis sie zurückkehrte. Aus einem großen Kübel goß sie heißes Wasser in die Wanne. Eine Dampfwolke stieg auf. Diesen Vorgang wiederholte sie, bis die Wanne halb voll war. Dann schüttete sie verschiedene Kräuter ins Wasser und rührte mit einem langen Holzlöffel um. Ein scharfer, fast beißender Geruch begann den Raum zu füllen. »Was ist das?«
»Das soll dich nicht kümmern. Zieh die Stiefel aus, nimm dein Hemd hoch und stell deine Füße in die Wanne«, befahl die Alte. Als Yanka der Anweisung folgte, schrie sie vor Schmerz auf. Das Wasser war kochend heiß.
»Du gewöhnst dich dran«, meinte die Frau und drückte Yankas Füße wieder in die Wanne. »So, jetzt steh auf.«
Der Schmerz war so furchtbar, daß Yanka wankte. Ihr war, als würde sie verbrüht. Dann wurden die Beine fast empfindungslos.
Yanka gewöhnte sich auch an den penetranten Geruch. Doch gegen Ende der grausamen Prozedur fiel sie in Ohnmacht.
Als sie wieder zu sich kam, rieb die Alte ihr die Füße mit einer Paste ein. »Es tut noch eine Zeitlang weh, aber die Haut fühlt sich nur verbrüht an, sie ist es nicht wirklich.«
»Und das Kind?«
»Komm übermorgen zu mir auf den Markt, bei Sonnenuntergang.«
Am nächsten Morgen schlief Yanka lange, und am Tag darauf ging sie, wie vereinbart, zum Stand der Frau und berichtete, daß alles in Ordnung sei.
»Das sagte ich dir doch«, war der lapidare Kommentar der Alten.
Yanka ging Milej aus dem Weg aus Furcht, sie könnte wieder schwanger werden.
Es lag immer noch Schnee, und sie wußte, daß der Bojar bald wieder den Weg zurück in den Osten nehmen wollte. Doch wohin sollte sie?
Auf einer ihrer Wanderungen durch Novgorod entdeckte sie eine Holzkirche, dem heiligen Blasius geweiht; sie lag im Viertel der Töpfer. Blasius war der Schutzheilige der Tiere und hatte den alten Slawengott Volos ersetzt, den Gott der Rinder, des Wohlergehens und des Reichtums.
In diesem Holzgebäude mit seinem hohen, steilen Dach fühlte sich Yanka geborgen. Stundenlang stand sie vor der Ikone des Heiligen, und in ihr wuchs das Gefühl, daß es auch für sie, in ihrem elenden und sinnlosen Dasein, Hoffnung gebe. Sie betete voller Inbrunst.
Einige Tage darauf traf sie hier einen jungen Mann. Sie schätzte ihn auf etwa zweiundzwanzig, er war etwas mehr als mittelgroß. Sein Gesicht mit den hohen Backenknochen umrahmte ein brauner Bart. Yanka fielen sogleich seine Hände auf, schwielige Hände eines Arbeiters, doch seine Finger waren feingliedrig und die Nägel gepflegt. Seine braunen Mandelaugen blickten ernst und nachdenklich, während er, ins Gebet versunken, vor einer Ikone stand. Als sie auf die Tür zuging, unterbrach er sein Gebet unverzüglich und folgte ihr.
»Du nimmst wohl an, daß du den gleichen Weg hast wie ich?« lächelte sie.
»Nur zu deinem Schutz. Wohin gehst du denn?«
»Ins Viertel der Lederarbeiter.«
»Ich auch. Mein Herr wohnt dort.«
Sie erfuhr, daß er ein Sklave war, ein Mordvine, der im Alter von zwölf Jahren nach einem Überfall gefangengenommen worden war. Er hieß Purgas. Mit fünfzehn Jahren war er zu einem reichen Kaufmann gekommen, der ihn das Handwerk des Zimmermanns hatte erlernen lassen.
Als sie sich trennten, sagte Yanka, daß sie jeden Tag in die Kirche komme.
Sie erwartete natürlich, ihn am folgenden Tag wiederzutreffen; aber sie war doch höchst überrascht, als er ein kleines, aus Birkenholz geschnitztes Boot mit Ruderern und einem Segel hervorzog, das er gemacht hatte – eine wunderschöne Arbeit, die er ihr zum Geschenk machte. An diesem Tag begleitete er sie nach Hause. Danach trafen sie einander häufig. Er war immer liebenswürdig, ruhig und auch ein wenig schüchtern, was ihr gefiel. Wenn sie durch die Straßen gingen, blieb er von Zeit zu Zeit stehen und machte sie auf eine Besonderheit an den Häusern aufmerksam: eine Schnitzerei, ein Fenstergitter oder wie die schweren Balken an den Ecken ineinandergefügt waren. Yanka
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