Russka
Volkszählungen durch, was kein russischer Herrscher je getan hatte, sie teilten das Land in Hunderte und Zehnte und sie erhoben Steuern. Aber sie befaßten sich nicht mit den Gesetzen der tributpflichtigen Völker. So kam es wohl, daß dieser intelligente Tatar, dieser Christ, dessen Tochter einen Russen geheiratet hatte, immer noch ein Fremder in diesem Land war. Er wußte nichts von russischen Landtransaktionen und von Gesetzen. Nun hatte er zwar für das Land bezahlt, besaß jedoch keine Urkunde. Folglich gehörte ihm das Land gar nicht. Ich muß ihm das Land geben, dachte Milej rasch. Aber wenn er je herausfindet, daß ich ihm eine Urkunde hätte geben sollen… Kann ich noch etwas aus dieser Transaktion herausholen? Ich muß darüber nachdenken.
»Reite zurück nach Murom«, sagte er mit einem warmen Lächeln. »Wir reden später übers Geschäft.« Peter wendete das Pferd.
»Sei streng mit diesen verdammten Leuten«, rief Milej ihm nach, dann ging er mit seinem Beutel voll Gold ins Dorf zurück.
Die beiden moslemischen Kaufleute hatten ein Dutzend Männer und drei große Wagen dabei. Sie kamen im Morgengrauen und waren sichtlich schlecht gelaunt. Die mongolische Verwaltung hatte ihnen gestattet, so viel einzutreiben wie möglich gegen einen Festbetrag, den sie an den Khan abzuführen hatten. Aber ihr Besuch in Russka tags zuvor war nicht zufriedenstellend verlaufen. Heute mußten sie ihre gestrige Schlappe wieder wettmachen. Dafür schien ihnen diese unbedeutende kleine Gemeinde freier Bauern in Sumpfloch genau das richtige. Sie hatten sich geeinigt, das Dorf auszunehmen.
Der Weiler war auf fünfzehn Haushalte angewachsen und hatte den Status eines volost, einer Kommune. In den letzten Jahren hatte sich bescheidener Wohlstand eingestellt, und das hatte man dem gewählten Dorfältesten zu verdanken: Purgas, Yankas Mann. Alle respektierten ihn. Er war ein Mann, auf den man sich verlassen konnte.
Auch Yanka wußte dies. Doch bis auf den Grund seiner Seele konnte auch sie nicht sehen. Im Lauf ihrer Ehe hatte er sie immer wieder durch unerwartetes Verhalten überrascht – und nicht immer hatten ihr diese Überraschungen gefallen. Sie erinnerte sich gut an das erste Erlebnis dieser Art. Sie hatte in einer Ecke ihrer neuen isba eine Ikone angebracht. Kurz darauf hängte er kommentarlos ein Kränzchen aus Birkenlaub darüber.
»Warum tust du das?« fragte sie. »Das machen doch nur die Heiden.«
»Ich bin kein Christ«, gestand er.
»Aber ein Priester hat uns doch getraut.« Das war in Novgorod geschehen, kurz vor ihrer Abreise.
Er lächelte leicht. »Ich dachte, es sei nicht so wichtig. Ich bin dir damals in die Kirche gefolgt.«
»Das hättest du mir früher erzählen müssen«, sagte sie und war ein wenig aufgebracht.
»Ich hatte Angst, ich würde dich sonst verlieren«, murmelte er entschuldigend.
Sie dachte daran, daß auch sie ihm nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. So hatten sie beide gelogen, um die Liebe des anderen nicht zu verlieren.
»Du mußt jetzt Christ werden«, verlangte sie. Doch zu ihrem Erstaunen weigerte er sich.
»Unsere Kinder können Christen werden, aber laß mir meinen eigenen Weg«, war seine Antwort. »In Novgorod habe ich lange genug unter Christen gelebt«, fügte er gedankenvoll hinzu. Sie verstand ihn. Seine Flucht mit ihr aufs Land war für ihn eine Rückkehr zu seinen Wurzeln. Er hatte eine starke Liebe zum Wald und zum Fluß, die Yanka nicht kannte. Für ihn war ein Baum wie ein lebendiges Wesen.
Der Fetischismus war in den nördlichen Wäldern seit je eine Art Religion gewesen, und Yanka versuchte klugerweise nicht, ihren Mann davon abzubringen.
Sie war froh, daß er nichts dagegen hatte, wenn sie die Kinder in die Holzkirche mitnahm.
Ihr Vater hatte sich glücklicherweise wieder verheiratet. Kurz nachdem sie in Sumpfloch angekommen waren, hatte er sie aufgesucht, sie beiseite genommen und ihr den Beutel mit Silbergeld in die Hand gedrückt, das er aus dem Süden mitgebracht hatte. »Ich glaube nicht, daß Kiy je zurückkommt«, sagte er. »Das gehört alles dir.«
Sie verstand, daß er damit Vergangenes wiedergutmachen wollte, und seither waren sie Freunde.
Sie zeigte Purgas die Münzen, und er untersuchte sie sorgfältig. Einige kämen aus Konstantinopel und seien sehr alt, erklärte er ihr. Andere waren russisch, aus Monomachs Zeit. Sie versteckten sie unter den Fußbodenbrettern.
Purgas war nicht nur ein Jäger; er arbeitete fleißig auf ihrem Stück
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