Russka
wurden durchstöbert, die Bewohner befragt. In Russka, wo Peter zuletzt gesehen worden war, ging man besonders sorgfältig vor; der Fluß wurde mit Schleppnetzen abgesucht, jedoch ohne Erfolg. Der Mann war wie vom Erdboden verschwunden. Am vierten Tag nach seiner Rückkehr tischte Milej eine große Lüge auf. Er hatte die ganze Zeit nachgedacht. Früher oder später mochte man ihn mit dem Tod des Tataren in Verbindung bringen. Da er aber beweisen konnte, daß er sich ausschließlich im Dorf aufgehalten hatte, sah er jetzt seine große Chance, der er nicht zu widerstehen vermochte.
Als Peters Sohn kam und höflich anfragte, ob sein Vater das Stück Land für das Kloster von ihm, Milej, gekauft habe, schüttelte er den Kopf. »Leider nein. Der Platz hat ihm nicht zugesagt.«
»Er hat dir also kein Geld gegeben?« Milej schüttelte wieder den Kopf. »Nichts.« Er war sicher: Ihm war nichts zu beweisen. Falls Peters Leichnam je gefunden würde, würde wohl niemand Geld bei ihm vermuten. Und durch einen unglaublichen Glücksfall gab es keinerlei Urkunden.
Peters Sohn war gegangen. Er konnte Milej nicht einmal einen Lügner nennen.
In der folgenden Woche erwarb Milej vom Großfürsten aus dessen besonders gutem tschernozem ein Stück Land, und zwar mit Geld aus einem angeblichen Landverkauf in der Nähe von Murom. Das Glück schien Milej hold.
1263
Im Frühling reiste Milej noch vor der Schneeschmelze auf seinen Besitz in Russka. Von seinem Haus aus überblickte er das fruchtbare Land jenseits des Flusses, das nun ihm gehörte. Er hatte mehrere Sklaven von den moslemischen Tributeinnehmern gekauft. Diese Sklaven sollten im Frühsommer in Russka eintreffen.
Es gab auch drei Siedlerfamilien, die durch die neuen Steuern ruiniert worden und froh waren, gutes Land zu günstigen Bedingungen vom Bojaren zugewiesen zu erhalten. Am ersten Sonntag im April begann die Schneeschmelze. Am Mittwoch darauf sah Milej von seiner Haustür aus kleine schwarze Erdhügel aus dem Schnee hervorlugen. Als er hinaustrat, hatte er ein Gefühl, als habe ihm jemand einen Stoß ins Herz versetzt. Er blieb stehen und griff sich an die Brust. Sein Herz würde doch nicht versagen! So alt war er doch noch nicht. Er holte tief Atem, verspürte keinen Schmerz, hatte keinerlei Atemnot. Er zog den Mantel fest um sich und ging langsam durchs Dorf. Da traf er den Verwalter, und sie setzten gemeinsam in einem Einbaum über den Fluß. Als sie an Land gingen, fühlte Milej wieder etwas Merkwürdiges: Seine Füße brannten wie Feuer. »Was ist, Herr?« fragte der Verwalter überrascht. Milej starrte entsetzt an sich hinunter. »Meine Füße… Als ich ausgestiegen bin… Brennen deine Füße auch?«
»Nein, Herr.«
Milej konnte keinen Schritt mehr tun. Der verwirrte Verwalter mußte ihn wieder zurückrudern. Zu Hause untersuchte Milej seine Füße, doch er konnte keinerlei Veränderungen daran feststellen.
Kurze Zeit darauf wiederholte sich der plötzliche Schmerz in der Herzgegend, und das geschah mehrmals in den folgenden Tagen. Milej konnte das Haus nicht verlassen, geschweige denn auf sein Stück Land am gegenüberliegenden Ufer gehen. »Es ist bestimmt dieser verdammte Tatar«, murmelte er. »Er kommt zurück, um mich zu quälen.«
Damit hatte er in gewissem Sinn recht. In einer finsteren Nacht, als Milej in Murom war, hatte sich Purgas, der Mordvine, zu Milejs verlassenem Haus geschlichen, die Türschwelle angehoben und darunter den Kopf des Tataren vergraben. Das Gesicht des Mordvinen trug dabei den Ausdruck diabolischer Schadenfreude. »Wenn man ihn je findet, wirst du, Bojar, des Mordes angeklagt, du, der Liebhaber meiner Frau«, flüsterte Purgas. Er hatte es immer geahnt. Nun waren sie quitt.
Milejs quälende Schmerzen wurden immer schlimmer. Er beschloß, abzureisen.
Am nächsten Tag ließ er sein Pferd satteln, saß auf und sagte dem Verwalter, daß er im Sommer wiederkommen werde. Eine halbe Meile außerhalb des Ortes scheute sein Pferd plötzlich und warf ihn ab, so daß er auf ein paar Wurzeln landete und dachte, er habe ein Bein gebrochen.
Das Tier gab unvermutet ein durchdringendes Wiehern von sich und stob davon. Milej starrte dorthin, wo sein Pferd gestanden hatte, und da sah er ein Roß von unnatürlicher Größe zwischen den Bäumen; es war grau, hatte eine schwarze Mähne und einen Streifen auf dem Rücken. Nun kam es durch die Bäume und galoppierte hinter seinem Pferd her. Seine Hufe machten kein Geräusch. Mühsam raffte
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