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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Milej sich auf und bekreuzigte sich. Dann hinkte er ins Dorf zurück.
    Dort rief er den Verwalter und den alten Priester aus der kleinen Kirche zu sich. »Ich habe mich entschlossen, zur Ehre Gottes eine große Stiftung zu machen. Ich will ein Kloster auf meinem Land jenseits des Flusses bauen lassen.«
    »Was hat dich zu dieser Entscheidung bewogen?« fragte der Priester, der Milej einer solch selbstlosen Tat nicht für fähig gehalten hatte.
    »Ich hatte eine Vision«, erklärte der Bojar kurz und bündig. »Der Herr sei gepriesen!« rief der alte Mann. Und so wurde im Jahre 1263 das kleine Kloster in Russka gegründet und den Heiligen Peter und Paul geweiht. Es gab noch ein bedeutsames Ereignis in jenem Jahr. Der Großfürst Alexander Nevskij machte sich auf den Weg über die Steppe zur Goldenen Horde, da er den Khan um Nachsicht mit den aufsässigen Tributpflichtigen bitten wollte. »Es geht ihm nicht gut«, berichtete ein Bojar aus Vladimir dem Bojaren Milej. »Er reiste nur höchst ungern um diese Zeit. Sein jüngster Sohn ist erst drei Jahre alt, und er wollte ihm zur Seite bleiben, bis er erwachsen wäre.«
    »Ach ja, Daniel heißt der Kleine, nicht wahr?« Milej wußte nichts von dem Knaben außer seinem Namen. »Es würde mich interessieren, was er einmal erben soll.«
    »Es heißt, Alexander habe seiner Familie Anweisung erteilt, dem Jungen, wenn er älter ist, Moskau zu geben«, erzählte der Bojar aus Vladimir.
    »Moskau, diese elende Stadt!« Milej schüttelte den Kopf. Welche Begabungen dieser junge Fürst auch immer haben mochte – aus einem so schäbigen Ort konnte er wohl kaum etwas machen.

Ivan
    1552
    Die Schiffe kamen von Osten her flußaufwärts. Gleichmäßig tauchten die Ruder ins Wasser. Mutter Wolga, mächtige Wolga. Hoch oben in dem grenzenlosen Herbsthimmel zogen hin und wieder blasse Wolken vorüber, während die Schiffe auf dem trägen Wasser dahinglitten, auf ihrem Weg zurück in die Heimat. Manchmal wurden Segel gesetzt, meistens jedoch wurde gerudert. An den Ufern des breiten Flusses war nur der gleichförmige Singsang der Schiffer zu hören, der schwermütig übers Wasser klang. Boris wußte nicht, wie viele Boote es waren. Nur ein Teil der Armee war in der Garnison im Osten zurückgeblieben. Der größte Teil der Streitmacht kehrte im Triumph in die Frontstadt Niznij Novgorod zurück. Die Russen hatten soeben die mächtige Tatarenstadt Kazan erobert.
    Kazan: Weit hinter ihnen auf dem Hügel an der Wolga lag es, wo der breite Strom südwärts durch die Steppe floß und sich dann dem Kaspischen Meer zuwandte. Kazan, wo einst die Wolgabulgaren gelebt hatten. Es war das Tor zu dem Imperium, das ehemals von dem mächtigen Tschingis Khan beherrscht worden war. Nun gehörte es zu Rußland.
    Boris saß in einem der hinteren Boote. Er war sechzehn Jahre alt, mittelgroß und eher schmal, hatte ein breites Gesicht mit leicht türkischem Einschlag, tiefblaue Augen, dunkelbraunes Haar und einen spärlichen Bart. Als junger Kavallerist trug er einen gesteppten Wollmantel, der Pfeile abhalten konnte. Um seine Schultern hing ein Pelzmantel gegen die kalte Brise. Hinter ihm baumelte ein kurzer türkischer Bogen, und zu seinen Füßen lag eine Axt in einer Hülle aus Bärenfell. Boris war von edlem Geblüt. Sein voller Name lautete: Boris, Sohn Davids, mit dem Zunamen Bobrov. Wenn man ihn fragte, woher er komme, antwortete er, sein Besitz liege bei Russka.
    Im ersten Boot saß Zar Ivan. Der Heilige Zar, mit einundzwanzig Jahren Alleinherrscher über alle Russen. Kein Herrscher vor ihm hatte solche Titel geführt. Seine Hauptstadt war Moskau. Seit dem Fall Konstantinopels hundert Jahre zuvor hatten drei Generationen an der Entstehung des mächtigen Staates Muscovia, des Moskauer Reiches, gearbeitet. Eine nach der anderen waren die bedeutenden Städte im nördlichen Rußland Moskau und seinen Armeen zugefallen. Tver, Rjazan, Smolensk, selbst das wichtige Novgorod gaben ihre frühere Selbständigkeit auf. Dieser neue Staat war allerdings keine Föderation; der Fürst von Moskau war ein ebenso großer Despot wie einst der Khan. Unbedingter Gehorsam gegenüber dem Machtzentrum, das war die Doktrin der Moskauer Fürsten.
    »Nur auf diese Weise kann der Staat der Rus seinen ehemaligen Ruhm zurückgewinnen«, war die Meinung der Befürworter. Bis dahin war es ein weiter Weg. Jetzt noch war der größte Teil des westlichen Rußland und des alten Kiever Landes im Süden in der Hand des mächtigen Litauen.

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