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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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kümmert's dich? Du lebst in Russka.« Lev, der Kaufmann, ein stämmiger Mann von fünfunddreißig Jahren, hatte ein hartes Tatarengesicht und listige schwarze Augen. Er handelte vor allem mit Fellen, hatte seine Geschäfte jedoch erweitert und war als Geldverleiher erfolgreich. Wie in Rußland oft der Fall, war auch in jener Region das Kloster der wichtigste Geldverleiher, da es über das höchste Kapital verfügte. Doch die allgemein expandierende Wirtschaft der vergangenen hundert Jahre hatte vielen Kaufleuten die Möglichkeit verschafft, selbst Kredite zu gewähren, und in Rußland liehen sich Menschen aller Klassen Geld.
    Die Zinsen waren hoch; Wucherer verlangten hundertfünfzig Prozent und mehr.
    Seit Russka vom Kloster übernommen worden war, wurde es größer. Es gab nun mehrere Reihen von Hütten, manche von beachtlichem Umfang. Über fünfhundert Menschen lebten in den inzwischen verstärkten Mauern. Über dem Stadttor erhob sich ein hoher hölzerner Wachturm mit steilem Zeltdach. In Russka herrschte eine geschäftige, wohlgeordnete Atmosphäre. Auf dem Marktplatz, wo es neben einer älteren Holzkirche nun auch eine Steinkirche gab, waren das ganze Jahr über Stände aufgestellt, und die Leute kamen aus den benachbarten Orten. Ein Tributeinnehmer kassierte an Ort und Stelle die Zollgebühren der Händler; doch die vom Kloster gelieferten Waren waren zollfrei, und dieser Umstand lockte besonders viele Käufer an. Lev wandte sich an Michail und legte ihm den Arm um die Schultern. »Ich würde mir keine Sorgen machen«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Ist dir nicht klar, daß der junge Herr Boris seinen Besitz ohnehin nicht mehr lange behalten wird, wenn dieser Bursche hier freie Hand hat?« Und damit deutete er auf den Mönch neben sich.
    Die Schlitten glitten leicht auf der glitzernden Bahn des zugefrorenen Rus dahin. Im ersten saßen Boris und Elena, im zweiten fünf tatarische Sklaven und Elenas Jungfer neben einem Haufen Gepäck.
    Da lag nun endlich Russka vor ihnen. Wie still es war! Boris drückte Elenas Hand und seufzte vor Glück.
    Elena lächelte. Gott sei Dank, dachte sie, ist der Ort nicht so klein, wie ich befürchtet habe. Vielleicht gibt es ein paar Frauen, mit denen ich mich ab und zu unterhalten kann. Schon waren sie vor dem Tor. Als sie auf den Marktplatz fuhren, sah sie die vier Männer in der Mitte stehen, die sich beim Anblick der Schlitten höflich verneigten.
    Den Ausdruck auf dem Gesicht des Mönchs konnte man nicht sehen, denn der dicke schwarze Bart ließ nur die Augen frei, die aufmerksam beobachteten, und einen Teil der pockennarbigen Wangen. Er war von untersetzter Statur, und seine leicht gebeugte Haltung konnte auf die demütige Ergebenheit eines Geistlichen hindeuten, und doch flackerte in seinen sanften braunen Augen eine versteckte Leidenschaftlichkeit. Er musterte das junge Paar eingehend.
    Stefan bemerkte dies, und die beiden taten ihm leid. Er hatte Boris' Vater gern gehabt, und er wünschte auch dem Sohn nur Gutes; dagegen war er seinem geistlichen Bruder nicht eben wohlgesinnt. Daniel selbst war zwar mittellos, doch besessen vom Gedanken an Reichtum – für das Kloster.
    Er ist habgierig im Namen Gottes, dachte Stefan bei sich. Es ist ein Verbrechen.
    Der große Kampf zwischen jenen, die meinten, die Kirche solle ihre Reichtümer aufgeben, und jenen, die für eine reiche Kirche sprachen, tobte seit Generationen. Die Gruppe der Geistlichen, die glaubten, die Kirche müsse zu einem Dasein in Armut und Einfachheit zurückkehren, ging in die Geschichte als »die Uneigennützigen« ein; die meisten Leute in Russka und in der Hauptstadt nannten sie liebevoll »die Nichthabgierigen«. Sie konnten sich allerdings nicht durchsetzen. Um das Jahr 1500 erklärte der Kirchenrat, daß Ländereien und anderer Besitz der Kirche die irdische Machtstellung in erstrebenswerter Weise sicherten. Wer anders dachte, galt als Häretiker.
    Der Mönch Daniel hatte in allen geschäftlichen Belangen solche Umsicht bewiesen, daß der Abt des Klosters Peter und Paul ihm die Aufsicht über die klösterlichen Aktivitäten in der kleinen Handelsstadt übergab. Die geheime Mission bestand darin, den Abt bei der Vergrößerung des klösterlichen Landbesitzes zu unterstützen.
    Darin würde Daniel wohl erfolgreich sein. Seit Generationen hatte die Kirche ihren Landbesitz innerhalb der Gemeinde fortlaufend erweitert. Zwei Jahre zuvor hatte Zar Ivan versucht, dieses Wachstum zu beschränken, indem er

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