Russka
anordnete, daß Klöster und Kirchen bei Schenkung oder Erwerb von Ländereien seine Erlaubnis einzuholen hätten. Doch solche Gesetze traten selten wirklich in Kraft. In der Zentralregion des Moskauer Reiches besaß die Kirche zu der Zeit etwa ein Drittel des Landes.
Es gab zwei attraktive Ländereien in der Nähe; das eine Gebiet lag im Nordosten, nun wieder in den Händen des Moskauer Fürsten; das andere war der Ort Sumpfloch.
Boris' Vater hatte seinen Besitz behaupten können; aber ob der junge Mann bei der geringen Mitgift seiner Frau dazu in der Lage sein würde? Daniel hegte große Zweifel daran. Entweder würde Boris das Land gegen eine Pacht auf Lebenszeit an das Kloster abgeben, was häufig geschah, oder er würde es gleich verkaufen. Ansonsten hatte er die Möglichkeit, sich immer tiefer in Schulden zu stürzen. Und auch dann würde das Kloster den Besitz schließlich übernehmen.
Wie dem auch sein mochte: Boris würde ein Leben in Ehren führen. Nach seinem Tod würden die Mönche für den edlen Wohltäter, der sein Land dem Dienst an Gott weihte, beten. Eine Schwierigkeit sah Daniel allerdings voraus. Wenn der junge Mann die Absichten des Klosters kannte, würde er, wie sein Vater, alles daransetzen, seine Unabhängigkeit zu bewahren. Er würde unter allen Umständen vermeiden, Geld vom Kloster zu leihen.
»Hier kommst du ins Spiel«, hatte er Lev, den Kaufmann, tags zuvor angewiesen. »Wenn der junge Mann Geld leihen will, biete ihm einen Kredit an, und ich übernehme die Garantie.« Lev hatte gelacht und gemeint: »Ach, ihr Mönche…« Und nun kam der junge Mann auf sie zu.
Als der Schlitten den Platz überquerte, hörte Elena ihren Mann leise fluchen. Als sie ihn überrascht ansah, lächelte er ihr nur entschuldigend zu.
»Meine Feinde«, flüsterte er. »Das sind alles meine Vettern. Nimm dich vor allem vor dem Priester in acht«, fügte er hinzu. Die vier Männer blickten ihr unschuldig entgegen. Boris' Furcht vor dem Priester hatte nur einen Grund: Stefan konnte lesen, und Boris selbst konnte nur wenige Wörter entziffern. Er wußte, daß viele Adlige bei Hof lesen konnten. Die Mönche und Priester in den großen Klöstern und Kirchen beherrschten ihre eigene Kirchensprache in Wort und Schrift. Was aber fing der Pfarrer einer kleinen Gemeinde mit Büchern an? Boris schien das verdächtig. Die Katholiken oder diese merkwürdigen deutschen Protestanten, die mit Moskau Handel trieben, konnten wahrscheinlich auch lesen.
Daß Daniel, der Mönch, hinter seinem Land her war, konnte Boris verstehen. Aber was Stefan wohl im Schilde führte? Die kleine Gruppe begrüßte die Ankommenden höflich. Sie lächelten Elena respektvoll zu. Dann fuhr der Schlitten weiter zu dem kleinen Haus am Ende des Platzes, wo der Verwalter, seine Frau und die Bediensteten das junge Paar erwarteten. Am nächsten Morgen inspizierte Boris seinen Besitz in Sumpfloch. Der alte Verwalter führte ihn umher. Er war schon da gewesen, als Boris noch ein Kind war, und er war kein schlechter Kerl. Jedenfalls war er ehrlich, soweit Boris wußte.
»Es ist alles in gutem Zustand, wie dein Vater es hinterlassen hat«, sagte er.
Boris blickte nachdenklich umher. Als die Sachverständigen des Zaren nach Ivans neuerlichen Steuerreformen Russka besuchten, inspizierten sie den Besitz der Bobrovs eingehend. Es handelte sich um etwa dreihundert tschetvezts, was ungefähr siebzehnhundert Hektar entspricht. Die Bobrovs hatten in zweierlei Hinsicht Glück: Erstens befanden die Sachverständigen, daß ein Teil des Landes von minderer Qualität sei, wodurch sich die Steuern reduzierten. Zum zweiten war das hochwertige Areal ein wenig zu groß, als daß es nach den Standardmaßen der Steuertabelle exakt hätte erfaßt werden können.
Die russischen Sachverständigen für Grund und Boden vermochten gewisse Teilstücke, Bruchteile, nicht zu berechnen und steuerlich nicht zu taxieren. Zum Beispiel war ein Zehntel in den Steuertabellen nicht vorgesehen. Sie wußten auch nicht, wie man Brüche mit unterschiedlichen Divisoren addiert oder subtrahiert. Sie stellten fest, daß der gute Boden in Sumpfloch etwa zweihundertvierundfünfzig tschetvezts umfaßte. Aufgrund der angedeuteten Probleme blieben mehr als eineinhalb Hektar steuerfrei.
Boris' derzeitige Einkünfte aus seinem Land betrugen zehn Rubel jährlich. Und damit ging es ihm gut, verglichen mit anderen, denen der Zar pomeste – Land als Dienstgut – zugewiesen hatte. Andererseits hatte er
Weitere Kostenlose Bücher