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Ruth

Ruth

Titel: Ruth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank G. Slaughter
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kaufen. Sie blieb jedoch am Markt
nicht stehen. Statt dessen ging sie weiter zum Tempel, wurde aber draußen von
einem Wachtposten aufgehalten. „Keine gewöhnliche Frau darf den Tempel des
Kamosch betreten“, erklärte der Soldat wichtigtuerisch.
    „Ich bin keine gewöhnliche
Frau“, sagte Noëmi stolz. „Laß die junge Frau mit Namen Ruth wissen, daß Noëmi,
die Mutter Machlons, hier ist und mit ihr sprechen möchte.“
    Ruth war im Tempelgarten
spazierengegangen und kam sofort. „Willst du mit mir in den Garten gehen?“
fragte sie Noëmi höflich. „Ich erinnere mich, dich an der Zufluchtsstätte
gesehen zu haben.“
    „Warum hast du meinen Sohn
verhext, Ruth von Moab?“ fragte Noëmi, als sie sich auf einer Bank
niedergelassen hatten.
    Ruth errötete. Ein Gefühl des
Zorns stieg in ihr auf, aber da auch sie eine Frau war, verstand sie, was Noëmi
quälen mußte. „Ich habe ihn nicht verhext“, widersprach sie. „Bei Kamosch, ich
schwöre es.“
    „Schwöre mir nichts bei fremden
Göttern! Es ist genug, daß mein Sohn an nichts anderes denkt als an ein
moabitisches Mädchen.“
    Ruth erschrak über Noëmis
Heftigkeit. Aber die Nachricht, daß Machlon so oft an sie dachte wie sie an
ihn, machte sie zum ersten Mal wieder glücklich seit der Nacht, als sie Machlon
weggeschickt hatte. „Warum ist es so schlecht für ihn, an mich zu denken?“
fragte sie.
    „Du bist aus Moab, und er ist
aus Israel“, erklärte Noëmi.
    „Aber ihr lebt jetzt alle
hier.“ Die Aufrichtigkeit des moabitischen Mädchens zeigte sich in seinen
Augen, in seiner Anmut und seinem Ernst. Wäre Ruth eine Israelitin gewesen,
gestand sich Noëmi, dann hätte sie wohl keinen Grund finden können, nicht mit
ihr einverstanden zu sein, selbst als Schwiegertochter nicht.
    „Liebst du meinen Sohn, Ruth
von Moab?“ fragte Noëmi plötzlich.
    Ruths Augen wurden groß. Sie
hatte noch nicht einmal sich selbst diese Frage gestellt. „Ich — ich weiß
nicht“, gab sie zu. „Er ist sehr sanft und freundlich. Ich habe noch nie einen
Mann wie Machlon gekannt, außer meinem Vater.“
    „Ist dein Vater tot?“
    „Er starb, als ich ein kleines
Mädchen war. Aber ich erinnere mich gut an ihn, und dein Sohn Machlon ist ihm
sehr ähnlich.“
    „Liebst du meinen Sohn, Ruth?“
fragte Noëmi erneut.
    „Ich glaube, ich liebe ihn“,
gab Ruth zu. „Ich bin sehr unglücklich gewesen, seit wir uns gestritten hatten.
Aber ich kann euren Glauben nicht verstehen.“
    „Warum?“
    „Euer Gott ist so streng. Ist
denn gar keine Freude dabei, wenn ihr ihm dient?“
    Noëmi dachte einen Augenblick
über die Frage nach. Als sie sprach, war ihre Stimme ruhig und bestimmt. „Die
Freude, die wir im Dienst des Allerhöchsten empfinden, liegt darin, unsere
Mitmenschen zu lieben und ihnen zu vertrauen“, erklärte sie. „Und darin, die
Dinge nicht zu tun, die der Herr verbietet, weil sie anderen nur Kummer
bereiten.“
    „Dann kannst du heute keine
Freude haben, Noëmi“, sagte Ruth still. „Denn du hast meinem Herzen Kummer gebracht,
indem du daran zweifelst, daß ich deines Sohnes würdig bin.“
    Nun war Noëmi an der Reihe,
überrascht zu sein. Bevor sie sprechen konnte, sagte Ruth impulsiv: „Vergib mir
bitte. Ich habe zu hart gesprochen, und jetzt habe ich dich verletzt.“
    Die ältere Frau schüttelte den
Kopf. „Du hast mich etwas wiedergelehrt, was ich schon vergessen hatte, Ruth.
Demut... Jede Mutter haßt den Gedanken, daß sie ihren Sohn eines Tages an eine
andere Frau verlieren könnte, obwohl sie weiß, daß es der Wille Gottes ist, denn
der Samen muß weitergegeben werden.“ Sie machte eine Pause, dann fuhr sie fort.
„Vor langer Zeit liebte ein Mann aus Israel eine Frau aus Midian in der Nähe
deiner Heimat.“
    „Ich kenne das Land.“
    „Er brachte sie zu den Lagern
Israels und in sein Zelt. Aber Mose befahl dem Enkel Aarons, dem Hohenpriester,
sie beide, während sie im Zelt schliefen, mit einer Lanze zu durchbohren, und
so geschah es.“
    „Es war eine grausame
Entscheidung.“ Ruth erschauerte.
    „Aber eine Entscheidung, die
jede Frau, die nicht zu unserem Volk gehört und einen Israeliten heiratet,
erwägen muß.“
    „Würdest du meine Liebe zu
deinem Sohn und die Liebe deines Sohnes zu mir billigen, wenn ich bereit wäre,
dieses Wagnis auf mich zu nehmen?“ fragte Ruth.
    „Ich müßte dir noch eine andere
Frage stellen“, sagte Noëmi. Wie sie so auf der Bank saß, erschien sie der
jungen Frau beinahe königlich in

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