Ruth
mit einer
Höhle zufriedengeben, von der aus man die Stadt überblicken kann, ohne gesehen
zu werden. Und ich habe sogar von einem geheimen Weg in die Stadt gehört,
vielleicht können wir ihn ausfindig machen.“
„Eine Höhle wird das beste
sein“, stimmte Joseph bei. „Morgen, bei Tagesanbruch, machen wir uns auf den
Weg.“
Boas’ Mantel und Kappe waren
mit weißem Staub bedeckt, als Chebs Karawane die Schlucht auf dem Weg nach Moab
verließ. Es war die gleiche Schlucht, durch die die Familie Elimelechs vor
Jahren gekommen war. Als sich das liebliche grüne Tal mit der in der Ferne
glitzernden Stadt vor ihnen öffnete, brachte Boas sein Pferd neben dem Pfad zum
Stehen und ließ den Rest der Karawane vorbeiziehen. Ruhig überblickte er die
sich vor ihm ausbreitende Landschaft, die das Tal säumenden Berge, die Menschen
und Herden auf den Feldern und die Mauern der Stadt.
Der Zug durch Moab hatte Boas’
Sorgen und Zweifel verstärkt. Der Zustand militärischer Bereitschaft war
überall offenkundig. Die Patrouillenstationen entlang der Straße waren mit
Soldaten besetzt, die Schwerter trugen, deren Herstellungsgeheimnis von Machlon
nach Moab gebracht worden war. Die Gebirgspässe wurden von schwer befestigten
Stützpunkten aus überwacht. Überall sah Boas den Beweis militärischer
Vorbereitungen, die mit der Einladung zu Friedensverhandlungen, die ihn hierher
gebracht hatte, auf seltsame Weise im Widerspruch standen.
Nur als er auf die ferne, von
grünen Feldern und Obstgärten umgebene Stadt blickte, in der die Kuppeln der
großen Tempel Ischtars und Kamoschs in der Nachmittagssonne aufblitzten,
erhellte sich sein Gesicht ein wenig. Denn das fruchtbare Tal, in dem die große
Stadt Heschbon lag, war von einer großartigen natürlichen Schönheit. Boas, der
Landbesitzer und Bauer, wußte dies einzuschätzen, wenngleich ihn als Heerführer
mehr die militärische Stärke, deren Zeuge er war, beschäftigte. Er betrachtete
die sich vor ihm ausbreitende Szene mit scharfen Augen und versuchte, sich alle
wesentlichen Einzelheiten einzuprägen.
Cheb grinste und wischte sich
mit seinem Ärmel den Staub vom Gesicht. „Siehst du, wie falsch es war, mir
nicht zu glauben, Boas?“ meinte er anbiedernd. „Hier ist Heschbon, und ich habe
dich unversehrt hierhergebracht. Ein Kurier ritt uns voraus, und ich wette, daß
in diesem Augenblick große Vorbereitungen für dein Eintreffen im Gange sind.“
„Ich werde mich ordnungsgemäß
bei dir bedanken, wenn ich nach Betlehem zurückkehre.“ Boas’ Blick erfaßte das
Götzenbild am Berghang, wo Machlon einst seine Schmiede errichtet hatte. „Was
ist das?“ forschte er.
Cheb schaute auf und senkte
rasch seinen Blick, als ob der bloße Anblick des Standbildes ihn entsetzte.
„Die Moabiter betrachten diese Statue ihres Gottes als heilig“, erklärte er
hastig. „Auch der Boden, auf dem sie sich befindet, ist heilig.“
„Warum? Sie haben einen großen
Tempel dort in der Stadt.“ Cheb hob die Schultern. „Ich weiß es nicht. Die
Leute in der Stadt sagen, daß der ganze Ort hier verflucht sei, und nur wenige
wagen sich her.“
Boas blickte erneut auf die
häßliche Statue des Gottes von Moab. „Wenn man die Statue sieht, kann man ihnen
das nicht verdenken.“
„Still!“ rief Cheb aus. „Hier
in seinem eigenen Land darfst du nicht geringschätzig über den moabitischen
Gott sprechen.“
Boas sah den Karawanenführer
durchdringend an. „Du hängst doch immer noch am Glauben Israels, nicht wahr,
Cheb? Obwohl du mit Moab handelst?“
„Natürlich.“ Cheb warf ihm,
seines Versehens bewußt, einen verlegenen Blick zu. „Aber ich passe auf, daß
ich die Götter des Volkes, mit dem ich Handel treibe, nicht beleidige. Und du
würdest gut daran tun, ebenso zu handeln, solange du dich in Heschbon
aufhältst.“
„Es gibt nur einen Gott, den
Allerhöchsten“, sagte Boas schroff. „Ich huldige keinem anderen. Und du
solltest es auch nicht tun.“
Sie hatten die Tore der Stadt
beinahe erreicht, als eine Trompete von den Schutzmauern ertönte und ihnen eine
Reitergruppe mit erhobenen Schwertern im Galopp entgegenritt. Boas’ Hand fuhr
zu seiner eigenen Waffe, als die Reiter die Karawane einkreisten, bis der
Anführer, Hedaks Hauptmann Nebo, sein Tier zum Stehen brachte.
„Willkommen in Heschbon, edler
Boas“, grüßte Nebo. In der Stimme des moabitischen Offiziers lag ein
unverschämter Unterton, der Boas wachsam um sich blicken ließ. „Prinz Hedak
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