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Ruth

Ruth

Titel: Ruth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank G. Slaughter
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sinnlos; der Mensch
konnte sich Gott nähern, der all diese Schönheit geschaffen hatte.
    Auch diese Jahreszeit liebte
Boas am meisten, den ersten Morgen der Gerstenernte, wenn er früh auf die
Felder ging, nicht nur, weil es so der Brauch war, sondern weil er den Anblick
des wie ein Meer wogenden Getreides liebte, bevor es unter den Sicheln der
Schnitter fiel. Boas war nicht aus Neigung ein Mann des Schwertes, sondern er
war Bauer, und nur weil seine Leute einen Führer brauchten, hatte er sich
entschlossen, ein Krieger zu sein. Nachdem er jedoch die Hand ans Schwert
gelegt hatte, widmete er der Verteidigung des Landes, das er so liebte, seine
ganze Kraft — mit Ausnahme von wenigen Augenblicken wie diesem, in dem Boas der
Soldat Boas dem Bauern und Hirten weichen mußte.
    Er ging langsam am Feld
entlang, blieb ab und zu stehen, um eine Ähre zu schälen und die Reife des
Getreides zu prüfen, als er die schlanke Gestalt einer Frau bemerkte, die am
Rande des Feldes stand, den Schal über ihren Kopf gezogen. Der schwache
Schimmer des Sternenlichts ließ ihre Gesichtszüge nicht erkennen, aber die
anmutigen Linien ihrer Gestalt waren deutlich zu sehen, und ihr Anblick
versetzte Boas einen Stich ins Herz.
    Tamar war schlank gewesen und
anmutig wie diese Frau. Und auch so jung, wie diese zweifellos war. Aber Tamar
hatte ihn beschämt, indem sie die Arme eines anderen wählte, jenes Mannes, in
dessen Umarmung sie gestorben war. Und seit dieser Zeit war sein Herz gegen
alle Frauen verschlossen.
    Ruth schaute in die Ferne und
hatte Boas noch nicht bemerkt. Dieser Besuch auf den Feldern am frühen Morgen
hatte sie an ihre Mädchenzeit unter den Stämmen Edoms erinnert, wo es gerade
solche Felder wie dieses hier gab und wo der Morgenstern kurz vor Tagesanbruch
genauso hell schien.
    „Schalom“, sagte Boas leise.
„Friede sei mit dir, meine Tochter.“
    Ruth fuhr zusammen. Sie
erkannte Boas’ Stimme sofort und wandte schnell ihren Kopf ab, damit er nicht
sehen konnte, wer sie war. Sie tat dies, um ihm zu verbergen, daß sie zum Stand
der Ährenleserin auf dem Felde herabgesunken war, aber auch weil die Erinnerung
an die Ereignisse in Moab wie eine Welle der Bitterkeit in ihr aufstieg.
    „Und Friede sei mit dir“, sagte
sie mit gedämpfter Stimme.
    Boas runzelte die Stirn. Sie
kam ihm irgendwie bekannt vor — er war sicher -, doch er kam nicht darauf, wer
unter den jungen Frauen von Betlehem sie sein konnte. „Bei uns gibt es eine
Redensart: ,Der Besitzer des Landes sollte auf den Feldern der erste sein’“,
sagte er. „Die Knechte können nach Sonnenaufgang kommen, aber wenn der Herr
seinen Gewinn haben will, muß er vor ihnen da sein.“
    „Habe ich etwas falsch gemacht,
indem ich vor den anderen Frauen gekommen bin?“ fragte Ruth mit der gleichen
leisen Stimme.
    „Es sollte kein Vorwurf sein,
daß du so früh hier bist.“ Er kam näher, aber seine Absicht fühlend, trat sie
einen Schritt zurück, so daß sie nicht enger als zuvor beieinanderstanden. Ihr
Antlitz war ein weißer Fleck im schwachen Licht, ihr Schal ließ nur die Augen
und den oberen Teil der Nase sehen. Und doch, ohne sie genau erkennen zu
können, fühlte er, daß sie schön war.
    „Wir haben noch eine andere
alte Redensart“, begann er. Ruth sprach nicht, und er fuhr ein wenig zögernd
fort: „Sie heißt: ,Es trifft sich gut beim Sternenlicht.’ Mögest du beim
Ährenlesen viel Glück haben, junge Frau.“
    „Bist du hier der Herr?“
    „Ja, sie arbeiten heute auf
meinem Feld.“ Es wurde nun rasch heller, denn der Tag brach an. Boas
betrachtete ihren Schal und runzelte die Stirn. „Ich kenne mich mit Stoffen
aus, da ich auch Herden und Webstühle besitze. Es scheint mir, daß dein Schal
in Moab gewebt wurde.“
    Ruth hielt den Atem an. „Ich —
ich komme aus Moab.“
    „Du kommst aus Moab?“
wiederholte er rasch. „Und doch liest du Ähren auf einem israelitischen Feld?“
    „Darf ich nicht hier sein?“
    „Es gibt Gesetze über die
Einwanderung von Moabitern nach Israel.“ Er war jetzt sicher, daß er sie schon
irgendwo einmal gesehen und ihre Stimme gehört hatte, und doch konnte er sich
noch immer nicht erinnern, wo dies gewesen war. Sie half ihm auch nicht, denn
sie hielt noch immer ihr Haupt abgewandt, und der größte Teil ihres Gesichtes
blieb von dem Schal verdeckt.
    „Vergib mir“, fuhr Boas vor,
„wenn ich dich frage, wie du zu uns gekommen bist.“
    „Ich war in Moab mit einem Mann
aus Israel verheiratet“,

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