Ruth
erklärte Ruth. „Er starb und ich bin mit der Mutter
meines Mannes hierhergekommen.“
„Dann bist du als Witwe eines
Israeliten rechtmäßig hier. Selbst unsere strengen Gesetze bieten der Frau
eines Mannes aus unserem Volke Zuflucht.“
Musik drang an ihr Ohr. Boas
blickte über das Feld, wo die Schnitter eintrafen, um mit ihrer Arbeit zu
beginnen. Sie trugen ihre Geräte, und die Kinder spielten, sangen und tanzten
noch immer vor ihnen her.
„Lies die Ähren heute auf
meinen Feldern, meine Tochter“, sagte er freundlich. „Und bleib in der Nähe der
Männer des Boas. Ich werde sie anweisen, dich zu achten und mit dir zu teilen,
wenn es für die Schnitter Wasser und Röstkorn gibt.“
„Du bist sehr freundlich.“
„Im Licht der aufgehenden Sonne
im Osten kann ich sehen, daß der Sternenschimmer dir nicht gerecht wurde.“ Das
Kompliment kam ihm etwas unbeholfen von den Lippen, und kaum hatte er es
ausgesprochen, war er über seine eigenen Worte überrascht und empfand seine
Unbedachtsamkeit als peinlich.
Auch Ruth war überrascht; sie
vermochte nicht gleich zu antworten. Nach den Geschehnissen der vergangenen
Nacht in Tobs Haus machte sie dieses neue Zeichen männlichen Interesses ein
wenig ängstlich. Doch war nichts in Boas’ Verhalten oder seiner Rede
beleidigend, und sie fühlte, daß er sich ganz und gar von Tob unterschied.
„Ich — ich danke dir“, sagte
sie schließlich leise, „daß du mich auf deinen Feldern Ähren lesen läßt. Und
für das — was du sagtest.“
„Boas!“ rief die Stimme eines
Mannes über das Feld. „Wir sind bereit zu beginnen, nachdem du das erste Bündel
geschnitten hast.“
„Ich komme, Elkan“, rief Boas
aus und wandte sich erneut an Ruth. „Schalom, Frau aus Moab.“
„Schalom“, flüsterte Ruth. Als
er ein paar Meter entfernt war, drehte sie sich um und sah der großen Gestalt
nach, bis sie sich den Schnittern zugesellt hatte. So fand sie Rachel, die mit
den Frauen über das Feld kam, um Ähren zu lesen.
„Ich sehe, du hast das richtige
Feld gefunden, Ruth“, rief sie aus und lächelte und wandte sich an die Frauen,
die mit ihr gekommen waren. „Ihr Mann war ein Israelit, der in Moab starb“,
erklärte Rachel, „Dies hier sind Zelda, Miriam und Anna, die gekommen sind, um
mit uns Ähren zu lesen.“
Ruth grüßte die Frauen höflich.
Zwei von ihnen sprachen freundlich mit ihr, nicht aber Zelda, eine seit vielen
Jahren verbitterte Frau, die sie mit feindseligem Blick musterte. „Es ist wenig
genug Korn für uns da“, sagte sie gehässig. „Warum sollten wir es mit einer
Moabiterin teilen?“
„Achte nicht auf sie“,
flüsterte Rachel Ruth zu. „In Betlehem sagt man, sie habe eine Natternzunge.“
Aber als Ruth auf den Feldern
hinter den Schnittern die Ähren auflas, war ihr Herz schwer. Sie hatte in
Zeldas Stimme den Haß gegenüber einer Außenseiterin nicht überhört, und nach
ihrer Erfahrung mit Tob wußte sie jetzt, daß es Menschen in Israel gab, die den
Lehren des Gottes, dem zu dienen sie behaupteten, nicht folgten.
5
Sosehr Boas auch die Herden und
die Felder liebte, er konnte doch nie allzu lange von seiner Aufgabe
fernbleiben, die Verteidigung Judas und Israels für den Tag vorzubereiten, an
dem die Krieger Moabs zuschlagen würden. Lange vor Mittag stand er auf der
Stadtmauer in der Nähe des Tores mit Joseph und überwachte eine Gruppe von Männern,
die einen Riß instand setzten, wo sich der Lehm von den Steinen gelöst hatte.
„Hedaks Heer könnte diese Mauer
mit den Speeren allein niederreißen“, sagte er mit grimmiger Miene.
Joseph grinste. „Erst, nachdem
sie an unseren Speeren vorbeigekommen sind.“
Boas hob die Schultern. „Wenn
wir mit jedem Speer einen töteten, wären noch genug übrig, um Israel zu
erobern.“ Er blickte hinunter auf eine gebeugte, zerbrechlich aussehende Frau,
die sich zum Tor schleppte. „Ist das nicht Noëmi, die Mutter Machlons und
Kiljons?“
Joseph folgte seinem Blick.
„Sie ist es, tatsächlich! Wie mag sie aus Moab nach Betlehem gekommen sein?“
„Noëmi!“ rief Boas und sprang
von der Mauer, um sie herzlich zu umarmen. „Willkommen in Betlehem. Möge Gott
dich segnen.“
„Gott sei mit dir, Boas“, sagte
Noëmi. „Ich wollte zu dir kommen.“ Sie taumelte und wäre gefallen, hätte er sie
nicht gestützt. Er führte sie zu einem Fels.
„Setz dich hier hin“, sagte er.
„Wo sind Machlon und Kiljon?“
„Sie sind tot. In Moab, durch
die
Weitere Kostenlose Bücher