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Ruth

Ruth

Titel: Ruth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank G. Slaughter
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Kleid überzuwerfen.
    „Berühre mich noch einmal, und
ich werde dich töten“, warnte sie ihn atemlos.
    Tob blieb stehen. Er fürchtete
sich vor dem Messer und der Entschlossenheit ihrer Miene. „Wagst du es, mich zu
verhöhnen?“ fragte er wütend. „Du, eine Moabiterin!“
    „Ich bin die Witwe deines
Verwandten.“ Ruth streifte das Kleid über ihren Körper. „Die Gesetze des
Allerhöchsten schützen mich.“
    Tobs Miene erhellte sich, als
ihm ein neuer Gedanke kam. „Du bist meine Verwandte. Und außerdem eine mutige
Frau. Ich mag Mut“, fuhr er in fast plauderndem Ton fort. „Auch Intelligenz.
Das sind ausgezeichnete Eigenschaften bei einer Ehefrau.“
    „Einer Ehefrau?“
    „Du hast deine Rechte
geltend gemacht. Vielleicht werde ich nun meine geltend machen. Nach dem Gesetz
kann der nächste Verwandte die Witwe zur Frau nehmen... falls er es wünscht.“
    Er ging auf die Tür zu, als ob
er den Raum verlassen wollte, dann stürzte er sich plötzlich auf sie und griff
nach der Hand, die den Dolch hielt. Aber Ruth hatte sich nicht irreführen
lassen. Bevor er ihre Hand ergreifen konnte, stieß sie das Messer vor, und die
Spitze fuhr in sein Handgelenk. Tob blutete.
    Er winselte vor Schmerz und
umfaßte sein Handgelenk. Er starrte sie wütend an. „Du...“ stieß er hervor, „du
moabitische Hure!“ Ohne sie weiter zu belästigen, stürzte er aus dem Zimmer.
    In rasender Eile kleidete sich
Ruth vollends an. Sie zog ihren Schal über den Kopf und ging zur Tür, den Dolch
noch immer in der Hand, falls Tob draußen auf sie warten sollte. Aber der Flur
war leer, und sie eilte zu dem Raum, in dem Noëmi schlief, und öffnete die Tür.
Bei ihrem Eintreten erwachte Noëmi. „Was ist geschehen, Kind?“ fragte sie
schnell.
    „Tob... Er versuchte, mir
Gewalt anzutun.“ Ruth konnte nur mühsam ihre verzweifelte Erregung
unterdrücken.
    „Welche Bitternis ist über zwei
hilflose Frauen gekommen!“ rief Noëmi aus.
    „Er sagt, er will mich zur Frau
nehmen, weil er der nächste Verwandte ist. Ich hätte in Moab bleiben sollen,
Noëmi! Die Männer Israels sind wie alle anderen.“
    Noëmi legte ihren Arm um Ruths
Schultern. „Trockne deine Tränen, Tochter“, sagte sie. „Nicht jeder Mann in
Juda ist wie Tob.“
    Ruth beherrschte sich mit Mühe.
„Dies ist dein Volk, und ich bin eine Last. Ich werde nach Moab fliehen, dann
kannst du in diesem Haus in Frieden leben.“
    „Es gibt einen besseren Weg“,
sagte Noëmi entschieden. „Wir werden das Haus noch heute nacht verlassen.“
    „Aber wo können wir hingehen?
Zwei Frauen allein?“
    „Wir werden bei den Bettlern
und den Armen Zuflucht suchen, die außerhalb der Mauern wohnen. Viele ehrliche
Leute leben in Juda; sie werden dafür sorgen, daß wir nach dem Gesetz unser
Recht bekommen.“
    „Das bedeutet, daß ich Tob
heiraten muß, wenn er mich will.“
    „Vielleicht können wir Geld
auftreiben, um das Land, das Machlon gehörte, zurückzukaufen. Dann bist du von
Tob befreit und kannst dir deinen Mann selbst wählen.“
    „Aber ich liebe Machlon noch
immer“, widersprach Ruth. „Außerdem, wer würde in Israel eine Moabiterin zur
Frau nehmen wollen?“
    „Für jedes Problem gibt es eine
Lösung“, sagte Noëmi sachlich, während sie sich ankleidete.
     
     
     

4
     
     
    Die Stadt Betlehem erwachte
lange vor Sonnenaufgang. Dies war die Zeit der Gerstenernte, und die Schnitter
mußten früh auf den Feldern sein. Wie in allen anderen orientalischen Orten
lehnte sich ein Bienenstock von kleinen und größeren Hütten an die aus Steinen
und Lehm errichteten Befestigungsmauern. Hinter den offenen Eingängen der
Hütten hatten die Leute auf ihren Matten in den gleichen Kleidern geschlafen,
die sie tagsüber trugen, da sie nicht genügend besaßen, um sie für die Nacht zu
wechseln. Nun begannen sie sich zu regen und für die tägliche Arbeit in den
Feldern fertigzumachen.
    Die Frauen gingen geschäftig
umher und setzten ihren Männern die bescheidene Morgenmahlzeit vor: gewöhnlich
ein paar getrocknete Datteln und vielleicht eine Tasse Ziegenmilch. Nachdem die
Männer auf die Felder gegangen waren, widmeten sie sich den übrigen Aufgaben
des täglichen Lebens. Sie versorgten ihre Kinder, spannen Wolle, webten Kleider
und zerstampften Getreidekörner in Steinmörsern, um die dünnen Fladenbrote zu
bereiten — all die vielen Tätigkeiten, mit denen der geschäftige Tag einer Frau
ausgefüllt war. Hier gab es keine Dienstboten, dafür waren die

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