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Ruth

Ruth

Titel: Ruth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank G. Slaughter
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daß
ihr Ola, die Irre von Betlehem, nicht kennt.“
    „Wir sind Israeliten“, sagte
Noëmi. „Aber wir sind nach langer Abwesenheit gerade eben erst nach Betlehem
zurückgekehrt.“ Ruth war damit beschäftigt, ihr Haar in zwei Zöpfe zu flechten,
die sie um ihr Haupt wand.
    »Was ist mit ihr?“ fragte
Rachel leise. „Ich kann das Zeichen Moabs auf ihrer Stirn sehen.“
    „Sie ist meine Tochter. Die
Witwe meines Sohnes und ein Trost in meiner Stunde der Bitternis.“
    Rachel lächelte. „Unter den
Mauern von Betlehem sind wir weder Moabiter noch Israeliten, wir sind nur alle
zusammen arm. Wir arbeiten und beten, und dann singen und tanzen wir fröhlich
vor dem Angesicht des Herrn.“
    „Du hast gut gesprochen,
Rachel“, sagte Noëmi. „Wir gehören zu euch.“
    Neue Laute erreichten Ruths
Ohren, wirklich seltsame Laute zu dieser frühen Zeit, da der Tag noch nicht
angebrochen war und der sanfte Schimmer des Sternenlichts auf den Hügeln und
den wogenden Getreidefeldern lag. Man konnte den zarten Klang einer Flöte
hören, leise Harfenklänge und dazwischen den schrillen Ton des Widderhorns,
Schofar genannt.
    „Heute ist der erste Tag der
Ernte“, erklärte Rachel mit leuchtenden Augen. „Die Schnitter gehen und holen
ihre Geräte. Heute sind alle Menschen glücklich.“
    Aus dem Tor kam eine
Prozession. Vor den Schnittern ging eine Gruppe von Kindern, angeführt von
einem kleinen Knaben, der tanzte und dabei auf einer Flöte spielte. Alle waren
fröhlich. Es war ein Anblick, der die Gemüter beleben und die Herzen, auch die
mit Bitterkeit erfüllten, erfreuen mußte.
    Noëmis Miene erhellte sich, und
sie blickte rasch zu Ruth, die ihren Schal erneut über ihr Haupt zog. „Wo es
Schnitter gibt“, sagte sie, „gibt es da nicht auch Ährenleser, die ihnen folgen
und das Getreide auflesen, das sie zurücklassen?“
    „O ja.“ Rachel hob ihren Krug
auf. „Ich werde zum Ährenlesen gehen, aber ich muß jetzt rasch nach Hause,
sonst komme ich zu spät auf die Felder.“
    „Würdest du gern Ähren lesen
gehen, Ruth?“ fragte Noëmi. Ruth betrachtete die lachenden Schnitter, die am
Brunnen tranken und ihre Wasserkrüge füllten. Seit Machlons Tod hatte sie keine
Menschen gesehen, die so glücklich waren. „Würden sie es zulassen?“ fragte sie
zögernd.
    „Alle Frauen, die arm sind oder
verwitwet, dürfen auf den Feldern Ähren lesen, nachdem die Schnitter ihre
Arbeit getan haben.“
    „Auch ich?“
    „Sind wir keine Witwen?“ Noëmis
Stimme war wieder bitter. „Und sind wir nicht arm?“
    „Geh zum Ostfeld“, rief Rachel
Ruth zu, als sie den Brunnen verließ. „Elkan, der Aufseher, ist ein guter Mann.
Ich werde bald nachkommen.“
    „Du bist sehr freundlich.“
Ruths Gesicht erhellte sich. „Ich werde dich dort treffen.“
    Die Schnitter entfernten sich
und gingen auf ein kleines Gebäude zu, in dem die Geräte untergebracht waren.
Ruth wollte nach dem in der Ferne liegenden Feld aufbrechen, aber sie blieb
stehen, als sie bemerkte, daß Noëmi sich nicht von der Stelle gerührt hatte.
„Kommst du nicht auch, Noëmi?“ fragte sie.
    Die ältere Frau schüttelte den
Kopf. „Ich bin zu alt, um mich auf den Feldern zu bücken, Ruth. Dein starker
Körper muß jetzt meine Stütze sein. Geh, und ich werde dich am Abend hier
erwarten, wenn die Arbeit getan ist.“
    Ruth zögerte einen Augenblick,
dann wandte sie sich dem Feld zu, an das Rachel sie verwiesen hatte. Sie
blickte nach vorn und richtete ihre Schultern entschlossen auf. Eine Arbeit wie
diese hatte sie noch nie getan, aber es war ein Teil des Lebens, das sie
zusammen mit Noëmi gewählt hatte: nun würde sie auch das auf sich nehmen. Und
es war bei weitem besser, als im Hause Tobs zu leben und seinen Umarmungen
ausgesetzt zu sein.
     
    Die Dunkelheit hatte dem Morgen
zu weichen begonnen, aber der Tag war noch nicht angebrochen, als Boas sein
Pferd an einem Baum an der Ecke des Ostfeldes festband. Er nahm eine Sichel vom
Sattel, und während er den Pfad am Feld entlangging, hob er seine Augen auf zu
dem strahlenden Morgenstern im Osten, wo sich ein paar schwache Lichtstreifen
zeigten und die aufgehende Sonne ankündigten.
    Es waren die Augenblicke des
Tages, die er am meisten liebte, die Zeit, wenn das Sternenlicht kurz vor
seinem Verblassen am hellsten zu leuchten schien und die ganze Welt in eine
kühle und friedliche Schönheit getaucht war. Zu dieser Stunde erschienen die
kümmerlichen Sorgen des Alltags und seine Streitigkeiten

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