Rywig 01 - Bleib bei uns Beate
gemacht zu haben“, sagte er.
„Doktor Rywig - darf ich mir erlauben, etwas zu fragen...“
„Aber gewiß. Fragen Sie nur.“
„Weiß Bernt, daß - daß Sie ihn heute verhauen wollten?“
„Nein, Beate, das weiß er nicht. Ich dachte, das bleibt am besten unter uns.“
„Ach, Gott sei Dank!“ sagte ich und atmete tief auf. Der Doktor trat ans Fenster, stand lange da und starrte in die Novembernacht hinaus. Dann wandte er sich um.
„O weh, es ist aber spät geworden. Ich bin wirklich ein reizender Arzt, Sie die halbe Nacht so in Atem zu halten. Jetzt müssen Sie aber flink ins Bett, morgen ist Samstag, und dann wird es sicher auch wieder spät. Denn Sie machen doch wieder einen Samstagsschäker für uns? Tun Sie das?“
Seine Stimme klang mit einem Male wie die eines Kindes. Und die Ähnlichkeit mit Bernt war auffallender denn je.
„Doch“, sagte ich. „Darauf - darauf können Sie Gift nehmen, das tue ich. Darf ich jetzt hier lüften, Herr Doktor? Ich will Sie nicht hinauswerfen, aber...“
„Warten Sie, ich helfe Ihnen.“
Er öffnete die Fenster. Die kalte Nachtluft strömte ins Zimmer. Ich schauderte zusammen. „Uff, wie kalt ist die Novemberluft.“ Der Doktor ergriff meine Hand.
„Macht nichts, Beate. Mag es draußen ruhig kalt sein - was tut es, wenn hier drinnen die Frühlingssonne scheint?“
Mit einem Male neigte er sich über meine Hand und küßte sie. Im nächsten Augenblick war er zur Tür hinaus.
So verschieden können Mütter sein
Wir saßen beim Frühstück, die ganze Familie. Es war mit der Zeit zur Gewohnheit geworden, daß die Zwillinge und sogar Hansemann sich früh genug einfanden, um mit dem Doktor und mit Bernt - und mit mir natürlich auch - gemeinsam zu frühstücken.
Es herrschte ein stillschweigendes Übereinkommen, daß wir unsere Post am Frühstückstisch öffnen durften. Der Doktor hatte sich schon in einen langen, maschinegeschriebenen Brief vertieft, und ich hatte eben einen Brief von meiner Mutter aufgemacht. Dann entfuhr mir ein „Ach!“
Fünf Köpfe schnellten hoch, fünf Augenpaare waren auf mich gerichtet.
„Ist’s was Schlimmes, Beate?“ Dieselbe Frage aus fünf Kehlen.
„Aber nein - im Gegenteil - das heißt, Herr Doktor - sind Polypen in der Nase etwas Schlimmes?“ Der Arzt lachte.
„Nicht besonders, wenn sie herausgenommen werden. Es ist eine Kleinigkeit. Sind Sie es, die Polypen hat, oder...“
„Nein, aber Heidi. Mein kleines Schwesterchen. Jetzt schreibt meine Mutter, sie käme demnächst mit Heidi nach Oslo. Sie fragt, ob Sie wohl so nett wären, ihr einen guten Hals-, Nasen-, Ohrenarzt zu empfehlen. Unser Hausarzt meint, es sei das beste, wenn es von einem Spezialisten gemacht würde, und in Tjeldsund haben wir keinen.“
„Wie nett, daß Ihre Mutter kommt, Beate. Wir freuen uns alle sie kennenzulernen, nicht wahr, Kinder?“
„Phantastisch“, sagten die Zwillinge im Chor.
„Famos“, sagte Bernt.
„Bringt sie mir auch was mit?“ fragte Hansemann.
„Natürlich, Beate, das mit dem Spezialisten regeln wir schon. Ich habe einen Kollegen, Dr. Engelmann, mit dem bin ich befreundet, und er hat einen ausgezeichneten Ruf - er hat seine Operationspatienten auch auf St. Lukas. Den sehe ich heute, das werden wir schon deichseln.“
„Ach, das wäre furchtbar nett von Ihnen, Herr Doktor. Ja, und dann muß ich noch etwas fragen, ich weiß ja in Oslo nicht besonders gut Bescheid und habe niemanden anderen, den ich fragen kann -wissen Sie nicht ein ruhiges kleines Hotel oder Pensionat, wo.“
„Hotel? Pensionat? Sind Sie nicht gescheit? Ich empfehle auf das allerwärmste Rywigs Hotel. Ob es ruhig ist, das ist noch die Frage, aber es hat eine vorzügliche Leiterin und erstklassige Bedienung...“ „Und einen erstklassigen Portier“, sagte Bernt und warf sich in die Brust.
„Und zwei ganz reizende Stubenmädchen“, lachten die Zwillinge.
„Da sehen Sie, Beate. Wenn wir dem Hansemann außerdem noch ein Piccolokäppchen auf den Kopf setzen, dann ist alles vorschriftsmäßig. Aber im Ernst, lassen Sie Ihrer Mutter Ihr Bett, Sie selbst schlafen auf dem Feldbett.“
„...und dann holen wir Sonjas Gitterbett vom Boden für Heidi“, rief Senta. „Hansemann hat ja meins geerbt, aber das von Sonja steht noch da.“
„Ich kann es gut runtertragen“, meinte Bernt.
„Heidi kann mein Kaninchen borgen“, sagte Hansemann. Ich war so gerührt, daß ich tatsächlich nicht wußte, was ich sagen sollte. Und das - das war die Familie,
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