Rywig 01 - Bleib bei uns Beate
ich getan - und vielen Dank, Herr Doktor - ich freue mich so sehr, daß ich meine Mutter hier bei mir haben darf, ich finde, ich habe hunderttausend Dinge mit ihr zu besprechen.“
„Sagen Sie mal - sind Sie Ihrer Mutter ähnlich?“ fragte der Doktor plötzlich.
„Meiner Mutter ähnlich? Ja - doch - das glaube ich schon...“
„Ist sie es, von der Sie die Fröhlichkeit geerbt haben?“
„Ja, wenn Sie meine gute Laune meinen, die habe ich wohl von meiner Mutter. Vati ist auch nicht gerade ein Kopfhänger, das kann man wirklich nicht sagen - aber Muttis Wesen ist so, daß es sie mitten in all ihrer Mühsal mit acht Kindern und sparsamster Lebensweise und vierzehnstündigem Arbeitstag jung und frisch erhalten hat. Ob Sie es nun glauben oder nicht, wenn Muttchen auch immer alle Hände voll zu tun hat, denkt sie auch immer noch an andere außer ihrer eigenen Familie. Wenn jemand Hilfe braucht, dann kommt sie an, sowie sie kann, und wenn wir Kinder Freunde und Freundinnen mit nach Hause gebracht haben, dann war Mutti die Gastlichkeit selber - es hieß dann einfach, noch einen Teller auf den Tisch, und der Gast aß mit, was wir selber aßen, und das waren Makrelen in der Makrelenzeit und Heringe in der Heringszeit, wir mußten ja den Pfennig umdrehen, wissen Sie.“
„Freunde mit nach Hause bringen...“, wiederholte Dr. Rywig sinnend. „Wissen Sie, da fällt mir etwas ein. Das tun meine Kinder eigentlich nie.“
„Nun, an mir soll’s nicht liegen.“
„Nein, das glaub ich gern, Beate. Sie würden sicher genauso sein
wie Ihre Mutter - auch in dieser Hinsicht. Nein - Tante Julie hat es wohl nie gern gesehen. Jaja, die arme Tante Julie, sie hat für uns getan, was sie konnte, wir dürfen das keinesfalls vergessen.“ „Natürlich hat sie das“, pflichtete ich bei.
„Und ehe Tante Julie kam, waren die Kinder noch zu klein, als daß...“
Ich unterbrach mich selbst. Es schien, als ob des Doktors Gesicht sich verschloß, irgend etwas verbergend, worüber er nicht sprechen wollte.
Ein Gedanke, der öfter schon in meinem Kopf gespukt hatte, meldete sich, und ich fragte mich: Wie ist Frau Rywig gewesen? Und wie ist die Ehe gewesen? Weshalb hatte der Doktor nirgendwo ein Bild seiner verstorbenen Frau, weder auf dem Schreibtisch noch an der Wand? Bernt hatte auch keines. Nur im Zimmer der Zwillinge hing eine Fotografie von dem schönen Antlitz.
Natürlich hatte ich meine Frage nie laut geäußert. Aber ich gestehe offen, ich war neugierig.
Ob es die Wärmflasche war, der Holundersaft oder die Strafpredigt, die geholfen hatten, weiß ich nicht. Aber Sonja war am nächsten Morgen wieder ganz obenauf.
Sie kam noch vor Senta zum Frühstück heruntergetapst. Auf dem Vorplatz fing sie mich ab.
„Guten Morgen, Beate.“
„Guten Morgen, du Göre. Na, wie geht es?“
„Eins a. Mir geht es schon wieder viel besser.“
Jetzt kam sie dicht an mich heran, suchte nach meiner Hand und flüsterte: „Sei mir nicht böse, Beate!“
Ich drückte sie rasch an mich. „Schon gut, Kleine. Wir sind also wieder gut Freund, nicht wahr! Komm, mein Kind, nimm den Brotkorb mit hinein, ich will nur meine Schürze abbinden - und da kommt Maren auch schon mit dem Tee.“
Ich stand am Küchentisch und summte ein Liedchen vor mich hin, während ich einen Kuchenteig anrührte. Ich wollte ein paar Vanilleplätzchen backen. Die aß Mutti so gern, und wir konnten es uns so selten leisten, welche zu backen, denn sie waren für eine große Familie zu üppig.
Maren war im Keller beim Bügeln, ich war allein und machte es mir gemütlich mit den Plätzchen und gab mich meiner Freude auf Muttis Besuch hin.
„Hallo, du, Beate!“ Ich wandte mich um. Ich hatte die Tür nicht
gehört.
„Aber Bernt, was machst du um diese Tageszeit zu Hause, Junge? Bist du aus der Schule geflogen?“
„Ganz recht. Mit der ganzen Klasse. Wir sollten die letzte Stunde Mathematik haben, und der Mathematiklehrer ist krank geworden.“ „Und du hast gerochen, daß ich Kuchen backen will, und da hast du die Beine in die Hand genommen und bist nach Hause geflitzt?“ Bernt lächelte. Er blieb stehen. Es schien, als habe er etwas auf dem Herzen, womit er nicht so recht herausrücken wollte.
„Nun?“ ermunterte ich ihn. „Du siehst aus, als wolltest du mir etwas anvertrauen.“
Jetzt sah er mich voll an.
„Du kannst doch sicher dicht halten, Beate?“
„Das kann ich, Bernt. Wenn ich jemandem verspreche, daß ich schweige, dann schweige ich.“
„Und
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