Rywig 02 - Hab Mut, Katrin
niemals vergeudet.
Außer ,guter Behandlung’ wird Ihnen selbstredend auch etwas Lohn zustehen. Dadurch können Sie Ihre Mittel für die Ausbildung sparen. Sie wohnen und essen kostenlos, und das bißchen Lohn bei uns wird wohl für die Friseuse und etwas Kleidung, Schuhreparaturen und andere notwendige Kleinigkeiten reichen.
Ich bekam gerade einen kurzen, eiligen Brief von Senta. Ich muß wörtlich wiedergeben, was sie mir nach unserem Telefongespräch schreibt:
,Liebste Beatemutti, das ist ja einfach die Masche! Katrin muß unbedingt kommen. Ich kriege morgens und abends dauernd von neuem das heulende Elend, wenn ich Sonjas leeres Bett an der anderen Wand sehe. Wenn Katrin gut kochen kann, dann wechseln wir uns immer ab und machen Wettkochen - und Ihr seht dann aus wie Fußbälle oder Sofakissen, ehe noch ein Monat um ist. Papa brüstet sich jetzt schon mit seinem Privatchauffeur, er behauptet, das würde sein Ansehen heben. Ich fliege mit dem Brief zur Post. Grüße Katrin herzlich und sag ihr, ich hoffe, daß sie kommt...’ Da haben Sie also Sentas Ansicht wortgetreu. Ich schließe mich ihr ganz und gar an und sage: Katrin muß unbedingt kommen!
Besprechen Sie meinen Vorschlag mit Ihren Brüdern, und wenn am Samstag das Essen und die Reden und die Trinksprüche erledigt sind, können wir uns vielleicht für fünf Minuten heimlich in einen Winkel zurückziehen, um darüber zu reden.
Mit den herzlichsten Grüßen Ihre Beate Rywig“
Katrin hatte noch nie über sich selber nachgedacht, weder über ihren Charakter noch ihre eigenen Gefühle. War sie vergnügt, dann war sie es; war sie böse, ja, dann war sie eben böse. Und darum war sie in diesem Augenblick höchst erstaunt über sich selbst. Wie kam es, daß ihr jetzt die Tränen über die Backen liefen, daß ihr Herz klopfte und ihre Wangen glühten? Sie freute sich doch ganz furchtbar, weshalb stand sie da und flennte?
Da war in all diesem Glück etwas, das weh tat: Sie war so allein mit der Freude - sie konnte sie mit niemandem teilen - jetzt, gerade jetzt hätte sie einen Menschen haben müssen, der an ihrer Freude teilnahm, dem sie um den Hals fallen und zurufen konnte: „Ich gehe nach Oslo, und da wohne ich bei Rywigs, ich freue mich sooo!“
Mit seinem Kummer kann man allein fertig werden. Aber wenn man keinen Menschen hat, mit dem man seine Freude teilen kann, dann tut das brennend weh. Diese Erfahrung machte Katrin in diesem Augenblick.
Ein Weilchen später klingelte bei Anjas Mutter zu Haus das Telefon. Frau Harbeck ging an den Apparat. Eine etwas kurzatmige Stimme fragte nach Frau Rywig.
Beate Rywig sagte nicht viel am Telefon. Sie sagte „ja“ und „das freut mich aufrichtig“ - „wie nett, daß Sie angeläutet haben“ - „ja, darüber können wir dann am Samstag reden“ und „auf Wiedersehen“.
Dann legte sie den Hörer auf und wandte sich um. „Es war die kleine Katrin“, sagte sie. „Sie hat sich so gefreut.“
„Kommt Sie denn zu euch, Beate?“
„Ja, das kann ich wohl als abgemacht ansehen.“
Anjas Mutter lächelte. „Ist es nicht ein wenig gewagt, Beate? Du kennst das Mädel fast gar nicht, und es können sich doch alle möglichen Schwierigkeiten einstellen.“
„Massenhaft“, sagte Beate. „Das arme Ding ist fürchterlich vernachlässigt. Keiner hat sich die Mühe gemacht, ihr etwas beizubringen. Sie hat grausige Tischmanieren, das sah ich, als wir zusammen Tee tranken - sie schlürft und sie trinkt mit Essen im Mund, sie tut überhaupt Dinge, deretwegen unsere Kinder vom Tisch gewiesen würden. Sie sieht aus, als könnte sie nicht bis drei zählen, wenn man auch nur das simpelste Fremdwort gebraucht. Sie versteht außer von Autos und Motoren und Sport und möglicherweise ein wenig Haushalt von nichts etwas. Aber sie hat ein Paar große, sehnsuchtsvolle Augen, Tante Marie. Sie ist unsagbar einsam. Und, siehst du, ich mit meinen sieben Geschwistern und fünf Kindern, ich habe gewissermaßen einen Riecher dafür, wo jemand der Schuh drückt, sobald es sich um Kinder und Jugend handelt. Und wir zu Hause haben so viel Freude und Wärme, daß es für einen mehr wohl reicht. Ich habe große Lust, aus dieser kleinen, vernachlässigten Katrin ein harmonisches und glückliches Menschenkind zu machen.“ „Ich könnte mir denken, daß du ganz die Richtige dafür bist.“ . „Vielleicht“, sagte Beate leise. „Vielleicht. Katrin sagte, ich sei ihrer Mutter ähnlich - und ich glaube beinahe, es war ihre Stimme, in
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