Rywig 04 - Die Glücksleiter hat viele Sprossen
hätte heulen mögen, weil wir sein Angebot nicht annehmen konnten!
Nach dem Essen saßen wir vor dem großen Feuer auf dem offenen Platz mit unseren Kaffeetassen. Die Leopardendame saß neben Frau Robinson. Sie - die Leopardendame, die übrigens Frau Heimann hieß, war eine sehr hübsche und sehr elegante Vierzigjährige. Sie war sehr gepflegt, hatte für den Abend ein raffiniertes Make-up aufgelegt und trug ein todschickes Kleid. Neben ihr wirkte Frau Robinson unscheinbar, in ihrem nicht ganz modernen Baumwollkleid, mit ihren kurzgeschnittenen Haaren und ihrem gealterten Gesicht. Aber man vergaß alles, wenn man ihre Augen sah. Diese strahlenden, dunkelblauen Augen, so voll Güte, so voll Klugheit - so voll Herz!
Unsere Gruppe blieb abends gewöhnlich zusammen. Es gab immer was zu fragen, und Heiko antwortete mit Engelsgeduld, erklärte, ergänzte, gab Ratschläge. Dann besprachen wir auch das
Programm des nächsten Tages, und Heiko erzählte, wie weit wir zu fahren hatten, was wir voraussichtlich zu sehen bekommen würden und wo unser nächstes Nachtquartier war.
Es entstand eine kleine Pause, dann erklang die Stimme von Frau Heimann:
„Ich werde einfach das Bild von den furchtbaren Drahtschlingen nicht los! Wie ist es bloß möglich, daß man Tiere in einer so grausamen Weise umbringen kann?“
„Die Menschen tun oft Unverantwortliches, nur um Geld zu verdienen“, sagte Frau Robinson. „Und die Frage ist, ob wir nicht, jeder von uns, sein Gewissen ein bißchen untersuchen sollte. In wie hohem Grade sind wir schuld daran, daß die Tiere zu leiden haben? Ich denke nicht nur an die Drahtschlingen. Aber wir essen Gänseleber von Gänsen, die mit der Maschine gemästet werden, bis sie beinahe ersticken. Wir essen Hummern, die lebendig gekocht werden, Aale, die lebendig gehäutet werden, Fleisch von Kälbern, die in winzigen Boxen in Stockfinsternis, oft mit verbundenen Augen, gehalten und dauernd gefüttert werden. Wir essen Eier von Hühnern, die ihr Leben in schrecklich engen Käfigen verbringen müssen. Und wenn wir zum Kapitel Pelzwerk kommen.“
„Lehnen Sie denn überhaupt alles Pelzwerk ab?“ fragte unsere Lehrerin.
„Durchaus nicht! Das wäre ja inkonsequent, wo ich selbst Lederschuhe trage und Fleisch esse. Einen Pelzmantel besitze ich auch. Aber die Felle sollen von Zuchttieren sein, nicht von Tieren, die in Gefahr sind, ausgerottet zu werden, und nicht von Tieren, die in grausamer Weise von Wilderern umgebracht werden! Meinetwegen können die Damen sich von oben bis unten in Chinchilla hüllen, in Zobel und Nerz. Und die, die kein Vermögen für Pelze anlegen können, haben eine überaus reiche Auswahl an entzückend verarbeiteten Lamm- und Kaninchenfellen. Ich gönne unbedingt den Kürschnern zu leben, und ihren Kundinnen gönne ich es, hübsche Sachen zu tragen, aber wie gesagt.“
„Sagen Sie, gnädige Frau“, sagte unser netter Professor: „Was täten Sie, wenn Sie einen Leopardenmantel als Geschenk bekämen?“ Jetzt waren alle still, alle Augen waren auf Frau Robinson gerichtet. Ein paar „Zaungäste“ hatten wir auch, Teilnehmer einer anderen deutschen Reisegesellschaft.
Frau Robinson antwortete, langsam und deutlich:
„Ich besitze einen.“
„Was?“
Das Wort fiel mehrstimmig.
„Ja. Ich besitze einen. Wollen Sie die Geschichte von dem Mantel hören?“
Kein Zweifel, das wollten wir alle.
Frau Robinson rückte ihren Stuhl ein wenig zurück. Ihr Gesicht lag im Schatten. Dann fing sie an zu erzählen:
„Es ist schon lange her, beinahe zwanzig Jahre. Mein Mann brachte mir einen Leopardenmantel aus Afrika mit. Damals war ich vollkommen ahnungslos. Ich wußte herzlich wenig über andere Tiere als unsere Hunde, Katzen und Pferde. Die liebte ich allerdings sehr. Ich konnte nie einem Tier etwas antun, ich pflegte meine Lieblinge sehr gut und war Mitglied des Tierschutzvereins. Das war aber auch alles. Ich trug stolz und glücklich meinen hübschen Mantel und wurde von meinen Freundinnen sehr beneidet. Dann platzte eines Tages eine Naht, und ich brachte den Mantel zum Kürschner. Er untersuchte ihn fachmännisch und schüttelte den Kopf. Mein Mann sei gründlich betrogen worden. Die Verarbeitung war denkbar schlecht, und überall, wo es nicht gleich auffiel, waren schlechte Felle verwendet. Er zeigte mir die Unterseite des Kragens. Da war ein recht häßliches Stück Fell eingenäht, es hatte einen beinahe kahlen Streifen, und das Leder war brüchig. Ich fragte, wie in aller
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